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Wainwood House - Rachels Geheimnis

Wainwood House - Rachels Geheimnis

Titel: Wainwood House - Rachels Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stoffers
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Sie gingen zielstrebig auf das dunkle Viereck der geöffneten Tür zu. Sie trugen ihre Hüte tief in die Stirn gezogen und hatten sich mit breiten Pelzkrägen und Schals gegen die Kälte vermummt. Es war unmöglich, ihre Gesichter zu erkennen. Im nächsten Moment wurden sie von der Kapelle verschluckt.
    »Es gibt ein kleines Fenster auf der Rückseite …«, flüsterte Lord Nyles ihr zu. Aus irgendeinem Grund war er ihr plötzlich so nahe, dass Penny seine Wärme im Rücken spüren konnte. Sie schluckte darüber ihre wütenden Fragen und Vorhaltungen herunter. Stattdessen nickte sie stumm. Er griff so selbstverständlich nach ihrer Hand, als wären sie bereits seit Jahren vertraut, und zog sie mit sich an den Weiden und dem schiefen Kreuz vorbei. Das dunkelgrüne Laub der Efeuranken wucherte ungehindert über die Rückseite der Kapelle und Penny konnte nirgends ein Fenster entdecken. Erst als Nyles ein paar tief hängende Zweige zurückbog und auf eine schmale, hohe Nische im Mauerwerk wies, sah sie darin das Fenster. Doch in der Bleifassung steckte kein normales Glas, sondern runde Butzenscheiben, die kaum Licht einließen und ihr keinen Blick hinein gestatteten.
    Wiederrum deutete Lord Nyles auf eine Stelle, an der eine der Butzen herausgeschlagen war, und dann auf einen hilfsbereit hervorstehenden Steinsims, der einen Yard über dem Boden aus dem Efeu ragte. Penelope begriff, dass er genauso wenig zum ersten Mal hier sein konnte wie Colonel Feltham. Doch dies war nicht der richtige Augenblick für Fragen und Erklärungen, wenn sie noch etwas von dem Gespräch in der Kapelle mit anhören wollte.
    Lord Nyles bot ihr wortlos seine Hand an und so kletterte Penny mit seiner Hilfe auf den steinernen Vorsprung. Er musste sie abstützen, denn der grobe Stein und die Ranken boten nur wenig Halt. Erst als sie auf dem Sims stand, konnte Penny durch das kreisrunde Loch ins Innere spähen. Das meiste Tageslicht fiel durch die offene Tür, doch es reichte nicht, um die ganze Kapelle zu erhellen. In den Schatten zu beiden Seiten ließen sich die klobigen Umrisse von steinernen Särgen erahnen. Dort, wo das Licht hinfiel, sah Penny einen bleichen Lumpenvorhang in der Zugluft wehen. Sie erkannte erst auf den zweiten Blick, dass es sich nicht um einen schmutzigen Stofffetzen handelte, sondern um riesige Spinnennetze, die ungestört über die Zeiten hinweg in der Grabkapelle gesponnen worden waren. Penny hatte sich bisher nicht für schwach oder ängstlich gehalten, doch bei diesem Anblick wäre sie am liebsten wieder von dem Sims heruntergesprungen. Die Kapelle hätte ohne Weiteres als Inspiration für Bram Stokers Vampirroman herhalten können, den Julian ihr in seinen vorletzten Sommerferien aus der Bibliothek geschmuggelt hatte.
    Um ihr Mut zu machen, drückte Nyles mit einer Hand ihr Knie. Er hielt ihre Beine mitsamt den langen Röcken fest umschlungen, damit sie nicht stürzte, und hatte vermutlich eine hervorragende Sicht auf ihre ausladenden Hüften. Das war nicht annähernd so romantisch wie ein verstohlener Händedruck bei einer Teerunde unter dem Tisch oder ein heimlicher Kuss getarnt durch eine Palme im Wintergarten, aber es erinnerte sie einen Moment lang wieder daran, dass sie sich in einer höchst verfänglichen Situation befanden. Doch nun wurden im Inneren der Kapelle Stimmen laut. Unterhalb des Butzenfensters entdecke Penny Felthams massige Gestalt zwischen den Särgen. Er wandte ihr den Rücken zu. Alles an ihm, von den breiten Schultern bis hin zu der harschen Drehung seines Kopfes, drückte seinen Widerwillen aus. An der Schwelle standen die beiden Männer. Sie zeichneten sich dunkel gegen das helle Viereck der offenen Tür ab.
    »Hier?« Felthams Stimme klang so spröde und brüchig, als wäre sie mit einem rostigen Eisen aufgerieben worden. »Von allen Orten auf Gottes elendem Erdboden ausgerechnet hier?«
    »Wo sonst?« Obwohl der Fremde ein perfektes Englisch bar jeden ländlichen Akzents sprach, lag in seiner Stimme eine melodiöse Betonung, die Penny erst einmal zuvor gehört hatte. Auf der Dorfstraße zwischen den Scheunen, als sie von den beiden ausländischen Reitern angesprochen worden war.
    »Raus hier!«, spie Feltham so leise, dass Penelope ihn fast nicht verstanden hätte.
    »Bedenken Sie doch, was wir gemeinsam erreichen könnten, Colonel«, antwortete der Fremde so eindringlich, als hätte er Feltham nicht gehört. »Die Vergangenheit könnte ungeschehen gemacht und eine Schuld geahndet werden.

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