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Wainwood House - Rachels Geheimnis

Wainwood House - Rachels Geheimnis

Titel: Wainwood House - Rachels Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stoffers
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Penny lehnte die Tür an und nahm mit angezogenen Beinen neben Claire auf dem Boden der Empore Platz. In längst vergangenen Zeiten mochten hier oben Damen mit gepuderten Perücken die Tänzer beim Menuett beobachtet haben. Doch im Laufe der Jahre war der Saal immer seltener genutzt worden, bis er fast in Vergessenheit geraten war. Er war zu weitläufig und zu unwirtlich, um als Speisesaal herzuhalten. Eines Tages waren alle Möbel herausgetragen, die Vorhänge vor den Fenstern geschlossen und die Kronleuchter unter der hohen Decke mit Laken verhüllt worden. Allein an den Wänden hingen noch immer die mittelalterlichen Gobelins. Die Jungfern und Ritter darauf verblassten allmählich im Schatten unter dem jahrhundertealten Staub. Allerdings gab das spiegelglatte Parkett eine hervorragende Rutschbahn ab, solange kein Erwachsener einen dabei erwischte, auf Socken Anlauf zu nehmen und quer durch den Saal zu schlittern.
    Doch an diesem Abend war von dem zugigen Schattenreich der großen Halle nichts mehr übrig. Die drei Kronleuchter unter der getäfelten Decke erhellten jeden Winkel. Sie ließen die Perlenstickereien auf den Kleidern der Damen aufblitzen und die Familienjuwelen an ihren Hälsen. Auf ihren aufgetürmten Locken wippten bei jedem Schritt Straußenfedern. Die Schleppen ihrer Kleider fegten majestätisch über das Parkett. Die Herren trugen allesamt einen schwarzen Frack über einer steifen weißen Hemdbrust und einer engen Weste, sodass sie fast mit den Hausdienern zu verwechseln waren. Die Luft im Saal war durch die vielen brennenden Kerzen und das Heer der Tänzer warm und stickig geworden. In einem Nebenzimmer hatte ein Streichorchester vor seinen Noten Aufstellung genommen. Durch die weit geöffneten Flügeltüren drang ein majestätischer Walzer in den Raum hinein. Die Paare schwebten so gekonnt über das glänzende Parkett, als hätten sie Nacht für Nacht nie etwas anderes getan, als miteinander zu tanzen. Bei genauerem Hinsehen glaubte Penelope allerdings ein paar vor Hitze und Anstrengung gerötete Wangen zu erkennen. Und als die Musik kurz aussetzte, nutzten mehrere Paare die Gelegenheit, um in einen benachbarten Salon zu fliehen, in dem weiche Sessel und gekühlte Erfrischungen eine Pause versprachen.
    Sie hielt unauffällig nach bekannten Gesichtern Ausschau. Colonel Feltham war kein besonders leidenschaftlicher Tänzer. Er harrte mit einem Glas hinter einem Palmenkübel verborgen aus und schien etwas, oder jemanden, zu beobachten. Auf der Tanzfläche machte Penny Julians Freund mit der hübschen Singstimme aus, der es, genau wie Julian, unverdrossen auf sich nahm, die unverheirateten jungen Damen zum Tanz aufzufordern. Lord Nyles rotblondes Haar dagegen leuchte nirgendwo auf. Nicht in einem der Grüppchen, die am Rande der Tanzfläche beisammenstanden, mit Gläsern, Handschuhen und Fächern in ihren Händen, und auch nicht unter den tanzenden Paaren, die wie ein unstetes Meer unter der Empore und durch den Saal wogten.
    »Hat er schon einmal versucht, deine Hand zu nehmen?«, fragte Penny mit gesenkter Stimme. Offenbar musste sie nicht erst erklären, wer gemeint war.
    »Nein, aber er hat mir bereits mehrmals aufgeholfen. Und neulich haben sich unsere Beine unter dem Tisch gestreift«, gab Claire genauso leise preis.
    Das war nicht viel, aber unter den wachsamen Augen der gehobenen Gesellschaft gab es nur wenige Berührungen zwischen einem jungen Mädchen und einem Gentleman, die unauffällig oder unschuldig genug waren, um gewagt werden zu können.
    »Natürlich werde ich meine Hand zurückziehen, sobald er es versucht«, fügte Claire mit einer Entschlossenheit hinzu, die verriet, dass sie sich über diesen Punkt hinreichend Gedanken gemacht hatte.
    »Im selben Augenblick?«, wollte Penny neugierig wissen, deren Taktik im Umgang mit Männern weit weniger ausgereift war.
    Claire schenkte ihr einen kurzen Seitenblick und flüsterte dann zurück: »Nun, nicht sofort, aber doch schnell genug, damit er nicht den Eindruck gewinnt, dass ich leicht zu haben bin. Er sollte sich ermutigt fühlen, aber nur so weit, dass er nicht davon überzeugt ist, herzlos zurückgestoßen worden zu sein.«
    Das schien von einiger Bedeutung zu sein, und Penny kam nicht umhin, sich zu fragen, ob Lord Nyles sie jetzt für ein verruchtes Weibsbild hielt, nachdem sie mit seiner Hilfe auf einen Steinsims geklettert war und zugelassen hatte, dass er ihre Beine umklammerte. Obwohl sie sich über die Einzelheiten nicht

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