Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wakolda (German Edition)

Wakolda (German Edition)

Titel: Wakolda (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucia Puenzo
Vom Netzwerk:
mehr als einmal mit dem Knie berührte. Lilith ging vollkommen in ihrer Krankenschwesternrolle auf, war ganz auf ihre Aufgabe konzentriert, Herlitzka festzuhalten. Sie spürte Josés Atem in ihrem Gesicht, er roch bitter und herb wie der Tabak, den ihr Vater rauchte, wenn er sich unbeobachtet glaubte.
    »Gleich haben wir’s«, sagte José und wickelte noch mehr Verband um Fuß und Bein.
    »So?«
    »Noch einmal rundherum ...«
    José schnitt den Verband ab und bewegte den Fuß behutsam hin und her; er saß fest.
    »So. Und jetzt wird noch genäht«, erklärte er begeistert.
    Mit feierlicher Geste ergriff er die Nadel mit dem bereits eingefädelten Draht und suchte die Befestigungslöcher im Porzellan. Er stach die Nadel in den Verband, bohrte sie durch den Stoff und zog sie auf der anderen Seite wieder heraus. Dann wiederholte er diese Prozedur einige Male, bis der Fuß wieder fest am Bein saß.
    »Seid ihr aus Bariloche?«
    »Meine Oma ... Sie war aus Bariloche. Sie ist gestorben. Deswegen fahren wir hin.«
    »Zur Beerdigung?«
    »Beerdigt wurde sie schon vor zwei Monaten.«
    »Und warum fahrt ihr dann jetzt hin?«
    »Wir ziehen in ihr Haus. Sie hatte eine Pension.«
    »Mist«, murmelte José, er hatte sich mit der Nadel in die Daumenkuppe gestochen. Er leckte einen Tropfen Blut ab. »Was sagtest du?«
    »Sie hat es uns vererbt ... Das Haus und die Pension.«
    »Und, gefällt es dir dort?«
    »Ich bin jeden Sommer da.«
    Mit einem Finger rückte sich José die schwarz umrandete Brille zurecht. Mit einer kleinen Zange kappte er den Draht des ersten, absolut perfekten Stichs und ging zum nächsten über, ließ das Drahtende geschickt hinter der Ferse verschwinden und fühlte sich darüber so lebendig wie in den ganzen letzten Monaten nicht. Da war es, das Mittel gegen sein Heimweh: Es war einerlei, dass dieses Baby nur aus Porzellan war, er konnte mit ihm anstellen, was er wollte, ohne irgendeinen Verdacht zu wecken. Lilith stand neben ihm und hielt weiter den Atem an.
    »Das ist natürlich provisorisch ... Man wird immer etwas sehen.«
    »Dann brennen wir sie einfach wieder neu«, schlug Lilith vor, als habe sie ihr Leben lang nichts anderes getan.
    José hob verwundert den Kopf.
    »Wer soll das denn tun?«
    »Mein Papa ... Er hat Herlitzka ja gemacht.«
    »Stimmt. Ich vergaß.«
    Als José den letzten Stich setzte, wusste er, was er zu tun hatte. Die Zukunft war bereits im Keim angelegt, jetzt, in diesem Moment, wo er seinen kleinen Spachtel in einen Plastikbehälter mit Klebmasse versenkte. Sorgfältig modellierte er die Zehen nach dem Vorbild des gesunden Fußes nach. Hätte er mehr Instrumente bei sich gehabt, hätte er sich auch noch die Nägel vorgenommen, aus dem schmutzigen Altrosa eine perlmuttern glänzende Lachsfarbe gemacht. In seiner Kindheit hatte er einmal eine Puppenfabrik besucht. Er war gefesselt gewesen von den gipsernen Gussformen, von der Vorstellung, dass aus ein und derselben Form unendlich viele perfekte Körper hervorgehen konnten. Damals hatte er aller Welt gegenüber verkündet, er wolle Soldat werden und nicht Arzt, doch dieses Bild war ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Und jetzt malte er sich die unendlich vielen Experimente aus, die er an Porzellankörpern durchführen würde.
    »Fertig«, sagte er und hielt Lilith sein Werk vor die Nase.
    Plötzlich ertönte hinter ihnen lautes Gelächter. Die drei Jungen waren immer noch ganz vertieft in ihre Comics; vollkommen fasziniert von dieser ihnen unbekannten Welt, betrachteten die zwei Brüder die kleinen, bunten Bildchen.
    »Was steht denn hier?«, wandte sich der Ältere an Tomás. Endlich hatte die Neugier auf das, was die Comic-Figuren da auf dem Bild sagten, über die Scham gesiegt, nicht lesen zu können. Immerhin ging es darum, dass fünf Soldaten gerade eine Gruppe Ranquel-Indianer erschossen.
    »Wo?«
    »Hier.«
    Tomás verbarg sein Erstaunen (schließlich hatten die beiden die ganze Zeit so getan, als würden sie lesen), stellte keinerlei Fragen und las vor. Das Lachen der Brüder war jetzt verstummt, da sie inmitten all der Römer, Griechen und Cowboys unversehens Bilder von Indianern und Soldaten vor sich hatten und alles in der Wüste spielte, in der sie selbst lebten.
    »Da steht, der Indianer ist wie der Tero-Vogel, der laufend überall Krach schlägt, bloß nicht da, wo er sein Nest hat ...« Tomás zeigte auf die Sprechblase über dem Kopf eines Soldaten, der sein Gewehr auf eine Reihe Frauen und Alte richtete. »Und der

Weitere Kostenlose Bücher