Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wakolda (German Edition)

Wakolda (German Edition)

Titel: Wakolda (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucia Puenzo
Vom Netzwerk:
hier fragt:
Was machen wir, wenn wir wissen, wo die Häuptlinge stecken?
« Er zeigte auf das nächste Comic-Bild, auf dem ein weiterer Soldat, bevor er das Feuer eröffnete, antwortete: »
Wir ziehen zum Lager rüber und nehmen den Pöbel gefangen!
Das sagt der hier. Und dann eröffnen sie das Feuer.«
    »Was ist Pöbel?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Das sind die Frauen«, meinte Nahuel.
    »Die Frauen, die Kinder und die Alten«, warf Yanka ein, die unbemerkt nähergetreten war und ihren Brüdern von hinten über die Schultern schaute. Sie deutete auf das nächste Bild.
    »Und da bringen sie alle um.«
    »Aber wieso?«, fragte Nahuel.
    »Das hat dein Vater dir doch schon oft erklärt.«
    Tomás wollte das Comic-Heft zuklappen, doch Lemún nahm es ihm aus der Hand; auf der folgenden Seite ging der Indianermord weiter, die blau uniformierte Truppe der weißen Männer siegte. Mitten in der Wüste hoben sie eine Grube aus, überfielen Siedlungen und setzten sie in Brand, wurden mit Medaillen ausgezeichnet und nahmen am Ende wie Kriegshelden ihre Kinder in den Arm ...
    »Wo hast du den Comic her?«, wollte Lemún wissen.
    »Den hab ich in Buenos Aires gekauft.«
    »Und wer hat dir beigebracht, dass man die Indianer umgebracht hat?«
    »Das hab ich doch gar nicht gesagt.«
    »Aber deine Schwester.«
    »Dann frag sie doch.«
    »Wenn deine Schwester das weiß, weißt du es doch auch.«
    Tomás zuckte mit den Achseln, er fühlte sich in die Ecke gedrängt.
    »Das haben wir in der Schule gelernt ... Geht ihr denn nicht zur Schule?«
    »Hier gibt’s doch gar keine Schule«, sagte Nahuel.
    Tomás erhob sich, er fühlte sich immer unbehaglicher. Er steckte die Comics zurück in die Tasche und langte nach dem Heft, das der ältere von Cumíns Söhnen noch in der Hand hielt.
    »Also ...«, ihm drohte die Stimme zu versagen, doch bevor er den Mut ganz verlor, sagte er noch schnell: »Ich glaub, ich leg mich ein bisschen hin ... Gibst du mir das wieder?«
    »Nein, das behalt ich.«
    Lemún hob den Blick nicht vom Comic-Heft, es kostete ihn Mühe, sich zusammenzureißen, er hatte große Lust, auf Tomás loszugehen. Der blonde Junge war ihm an sich nicht unsympathisch, aber die Vorstellung, dass sie eben noch zusammen über ein paar weißgesichtige Cowboys gelacht hatten und in der nächsten Geschichte dann die Indianer abgeschlachtet wurden ... Ihr Vater hatte ihnen immer prophezeit, eines Tages würden auch sie Wut darüber empfinden, was man ihnen angetan hatte. Das letzte Mal hatte Nahuel gewagt, ihm zu widersprechen:
    »Mir haben sie doch gar nichts getan.«
    Er hatte nur geflüstert und dabei nicht gewagt, den Blick vom Teller zu heben. Aber Cumín hatte die Bemerkung sofort als Beleidigung aufgefasst.
    »Ach nein?«
    »Mir nicht, nein.«
    »Für wen hältst du dich eigentlich? Was meinst du denn, wer du wärst, wenn es deinen Urgroßvater nicht gegeben hätte?«
    »Niemand.«
    Er hatte noch nie verstanden, wie sein Vater sich dermaßen über Ereignisse aufregen konnte, die über hundert Jahre zurücklagen. Aber es war wie immer, da thronte er am Kopfende des Tisches, riss drohend die Arme hoch und starrte sie aus blutunterlaufenen Augen an, als sehe er in seinen Söhnen die Leute, deretwegen sie eines Nachts aus Carmen de Patagones hatten fliehen müssen.
Er hat sich mit den Falschen angelegt
, hatte ihnen eine Tante erklärt, die nicht länger bei ihnen bleiben wollte,
ihr müsst jetzt auf der Hut sein
.
    »Glaubst du etwa, das war nicht alles genau geplant? Erst waren die nicht sesshaften Stämme an der Reihe, dann kamen die sesshaften dran ... Aber hier sind wir, wir haben unsere Wurzeln nicht verloren und besitzen unser eigenes Stück Erde. Niemand hat es geschafft, uns auszulöschen. Wir sind der lebende Beweis dafür, dass der Plan gescheitert ist.«
    Er spülte die Wut mit einem Schluck Schnaps hinunter und murmelte noch: »Du Hurensohn ...«
    Der Ausdruck war in gewisser Weise treffend, und ein wenig Sehnsucht schwang auch darin mit. Tatsächlich hatte ihn eine Hure zur Welt gebracht, eine Frau, die niemals etwas vom Muttersein hatte wissen wollen. Wenn er sich betrank, fing er an, sie zu vermissen, und schimpfte auf sein verpfuschtes Leben und auf das elende Loch, in dem sie lebten.
    »Das ist kein Loch, das ist unser Haus«, sagten Lemún und Nahuel dann immer.
    »Das hier ist kein Haus.«
    »Warum gehen wir nicht weg, wenn es dir nicht gefällt?«
    »Weil wir nirgendwohin gehen können.«
    Er wollte es einfach nicht

Weitere Kostenlose Bücher