Wakolda (German Edition)
ist los?«
»Ich möchte dir etwas zeigen«, flüsterte Yanka kaum hörbar.
Sie stand auf und schlich vorsichtig hinüber zum Feuer. Die Glut war beinahe erloschen. Aus einem Haufen verschiedenster Gerätschaften zog sie eine kleine Schaufel hervor, schlich zu ihrem Bett auf der anderen Seite des Raums zurück und versicherte sich, dass auch alle schliefen. Kein Zweifel: Die Erwachsenen bildeten einen schnarchenden Chor, ihre Brüder hatten in ihrer Ecke wie üblich alle viere von sich gestreckt. Etwas mühsam, der Bauch war ihr im Weg, hockte Yanka sich vor ihrem Bett auf den Boden und bedeutete Lilith, es ihr nachzutun. Dann legte sie sich auf die Seite und robbte vorsichtig unter das Bett. Sie schob zwei Bücherstapel zur Seite und tastete im Dunkeln nach der Stelle mit der losen Erde. Rasch schaufelte sie eine kleine Kiste frei und klopfte die restliche Erde ab. Lilith war ihr hinterhergekrochen, sah wortlos zu und fragte sich, was Yanka da zum Vorschein bringen würde.
»Ich hab nämlich auch eine«, erklärte diese.
»Eine was?«
»Eine Puppe.«
Yanka nahm den Deckel der Kiste ab. Neben verschiedenen Papieren und einer Pistole lag eine Puppe, die etwa so groß war wie Herlitzka. Sie hatte lange, bis zu den Knien reichende schwarze Haare; Gesicht, Hände und Füße waren aus Holz geschnitzt, die Augen schwarz wie die einer Indianerin. Sie hatte eine gerade Nase, einen vorgewölbten Bauch und trug einen handgefertigten Umhang.
»Wie heißt sie denn?«
»Wakolda.«
Lilith konnte in der Dunkelheit nicht jede Einzelheit genau erkennen und hätte selbst nicht sagen können, was es war, vielleicht die Heimlichkeit oder die Behutsamkeit, mit der Yanka die Puppe aus der Kiste hervorgeholt hatte und ihr nun mit den Fingern durch die Haare fuhr; aus irgendeinem Grund wollte Lilith die Puppe unbedingt besitzen, mehr als alles andere auf der Welt.
»Warum hast du sie versteckt?«
»Nicht ich hab sie versteckt, das war Cumín.«
»Und wieso versteckt sie dein Papa unter deinem Bett?«
»Er ist nicht mein Papa.«
Die Antwort ließ Lilith verstummen.
»Er sagt, ich bin zu alt für Puppen. Und dass ich kein Baby aus Stoff haben soll, wenn ich demnächst eins aus Fleisch und Blut bekomme.«
»Sag doch, sie ist für das neue Baby.«
»Das glaubt er mir nicht. Er hat behauptet, er hat sie ins Feuer geworfen, aber Lemún hat mir erzählt, dass er sie hier vergraben hat.«
»Kann ich sie mal anfassen?«
Yanka gab ihr die Puppe. Ihre Haut war samtweich.
»Das ist Weihrauch.«
»Weihrauch?«
»Das Holz, aus dem sie ist. Weihrauchholz.«
Wakoldas Augen wirkten ganz lebendig, sie hatte sogar angeklebte Wimpern.
»Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?«
Lilith bejahte.
»Sie besitzt magische Kräfte.«
»Was für Kräfte?«
»Sie kann Wünsche erfüllen. Meine hat sie erfüllt.«
»Was hast du dir denn gewünscht?«
»Das kann ich dir nicht sagen ... Weil sie eine
Machi
gemacht hat.«
»Eine was?«
»Eine
Machi
... Eine Hexe.«
»Eine Zauberin.«
Nur die Gliedmaßen der Puppe waren aus Holz, der übrige Körper mit einer weichen Füllung ausgestopft. Yanka streckte einen Arm aus und tastete auf der Pritsche über ihren Köpfen nach Herlitzka. Als sie eine Hand zu fassen bekam, zog sie die Puppe unter das Bett und legte sie vor sich auf den Lehmboden.
»Tauschst du mit mir?«
Lilith sah die trotz der Naht an ihrem Fuß vollkommene Herlitzka an, dann die ungestalte, aber mit Zauberkräften ausgestattete Wakolda. Sie biss sich auf die Unterlippe. Um Zeit zu gewinnen, tat sie, als verstehe sie nicht.
»Wie tauschen?«
»Ich kriege deine und du meine.«
»Ach so ... hmm ...«
»Na komm schon.«
»Ich weiß nicht.«
»Du machst einen guten Tausch.«
Sie verglich die beiden Puppen. Wakolda war nicht zu übertreffen, und das lag nicht nur an ihren Zauberkräften. In einer Gewitternacht am Ende der Welt würde sie in ihren Besitz gelangen. Der Erde entstiegen, mit Erde bedeckt ... Wer konnte da widerstehen? Und Lilith hatte eine Piratenseele, der Gedanke an die mögliche Beute ließ ihr Herz höher schlagen.
»Gut. Ich tausche.«
Wie ein wahrer Pirat hätte sie Yanka am liebsten im letzten Moment noch übers Ohr gehauen und sich beide Puppen unter den Nagel gerissen. Aber Yanka war eine würdige Gegnerin. Sie legte Herlitzka in die Kiste, tat den Deckel darauf und grub die Kiste wieder ein. Lilith gab es einen Stich, diesen Anblick würde sie nicht vergessen.
»Willst du sie da unten liegen
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