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Wakolda (German Edition)

Wakolda (German Edition)

Titel: Wakolda (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucia Puenzo
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damit verbracht, aus dem zerkleinerten
Wissen der Mapuche
mit Wasser eine Art Kleister anzurühren, und jetzt versuchte sie, mithilfe eines kleinen Holzstäbchens die ramponierten Zehen der Puppe zu reparieren. Das gesammelte Wissen ihrer Vorfahren vernichtete sie ganz ohne Schuldgefühle, schließlich hatten ihr die Großeltern beigebracht, dass die Dinge, damit sie überdauern, ihre Form verändern müssen. Lilith beobachtete sie stumm, sie saß nahe der geöffneten Tür, wo es nicht so stickig war.
    »Ich fürchte, der taugt nicht mehr, siehst du?«
    Yanka drehte den Porzellanfuß hin und her und zeigte ihr, was das Problem war: Durch die Bruchstellen trat die Klebemasse wieder aus. Draußen war es inzwischen finstere Nacht geworden, das Gewitter wütete mit ungebrochener Kraft weiter, und auch drinnen im Haus, einen halben Meter von der Tür entfernt, bekamen sie immer wieder kräftige Spritzer ab. Lilith hörte ihren Vater schnarchen; er schlief mit ihrer Mutter und ihrem kleinen Bruder zusammen auf einer Pritsche. Sein Schlaf war unruhig, alle paar Minuten stockte sein Atem, er schreckte auf, wobei er meist Frau und Kind mit aus dem Schlaf riss, um kurz darauf wieder einzunicken. Cumín saß beim Feuer und döste mit halbgeschlossenen Augen vor sich hin. Er schnarchte nicht, er schien sogar kaum zu atmen … Es machte den Eindruck, als habe er seinen Körper verlassen. Ihm gegenüber steckten die drei Jungen die Köpfe zusammen. Tomás hatte die beiden Brüder für sich gewinnen können, indem er ein paar Comic-Hefte aus seiner Hosentasche zog und jedem von ihnen eins in die Hand gab. So saßen sie in stummer Eintracht beieinander, nur hin und wieder war ein anerkennender Kommentar oder ein Kichern zu hören.
    Von den Erwachsenen war José der Einzige, der sich wachhielt. Er hatte ein ledergebundenes Heft auf den Knien und machte sich Notizen. Dabei schaute er immer wieder zu Yanka und Lilith hinüber und verfolgte jede einzelne ihrer Reparaturbemühungen. Als er sah, dass Lilith langsam die Hoffnung verlor, griff er nach seinem kleinen Koffer und ging zu den beiden hin.
    »Darf ich?«, fragte er und deutete auf einen Stuhl. Lilith nickte beiläufig, sie war ganz vertieft. José sah, wie sie sich immer wieder vergeblich abmühte, sah ihre nackten Beine, die wie Yankas mit Klebmasse beschmiert waren, und rückte näher. Er krempelte die Ärmel hoch und klappte sein Köfferchen auf.
    »Der Fuß muss angenäht werden«, erklärte er.
    »Aber wie denn?«
    »Mit Draht und Verbandsstoff.«
    »Und wer soll das machen?«
    »Ich.«
    Lilith stand auf, den Fuß in der einen, die Puppe in der anderen Hand, und schaute staunend in den Koffer. Darin befanden sich alle möglichen Fläschchen und Tablettendöschen sowie ein schwarzes Etui, das der Deutsche jetzt auf den Tisch legte und öffnete, wobei alle möglichen Utensilien zum Vorschein kamen: Skalpell, Schere, Pinzette, Nadeln, Alkohol, Binden ...
    »Wofür brauchen Sie das alles?«
    José entschied sich für die dickste Nadel und für einen feinen Draht, den er bei tiefen Wunden benutzte. Er nahm ihn zwischen Daumen und Zeigefinger, um ihn zu überprüfen, und griff mit der anderen Hand nach der Nadel.
    »Sind Sie Arzt?«
    »Tierarzt«, sagte er, »und Anthropologe.«
    Das war nicht gelogen. Im Jahr 1935 hatte er seine Doktorarbeit verteidigt,
Rassenmorphologische Untersuchung des vorderen Unterkieferabschnittes bei vier rassischen Gruppen
, und war von der Philosophischen Fakultät der Universität München am Institut für Anthropologie mit Auszeichnung promoviert worden. Gerade einmal drei Jahre später hatte er in einer weiteren medizinischen Doktorarbeit mit dem Titel
Sippenuntersuchungen bei Lippen-Kiefer-Gaumenspalte
die Bedeutung der Zwillingsforschung betont. Rasch hatte er den Draht eingefädelt. Er öffnete ein Fläschchen mit Alkohol und tränkte damit ein Stück Binde.
    »Gib mal her«, befahl er.
    Lilith legte die Puppe auf den Tisch und reichte José den Fuß. Der reinigte ihn sorgfältig von innen und außen, dann klemmte er sich Herlitzkas Kopf zwischen die Beine, um sie fest im Griff zu haben. Das gesunde Bein drehte er nach unten, so war es nicht im Weg, das kaputte stand senkrecht nach oben. Mit sichtlicher Wonne setzte er nun den Porzellanfuß über dem Stumpf des Stoffbeins an.
    »Du müsstest hier mal festhalten.«
    Lilith trat näher und stand jetzt so dicht vor José, dass er sie, während er die Puppe drehte, um den Fuß ans Bein zu binden,

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