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Wakolda (German Edition)

Wakolda (German Edition)

Titel: Wakolda (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucia Puenzo
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zusammen …«
    »Die Furcht vor dem Herrn«, sagte Eva.
    »Amen«, murmelte Lilith.
    Cumín lachte laut auf und strich Lilith mit seiner fettigen Hand über den Kopf. Die Kleine war wirklich hinreißend. Dann ging er auf José zu und bot ihm ein Stück Wurst an; der lehnte kopfschüttelnd ab, doch Cumín ließ nicht locker.
    »Probieren Sie doch bitte.«
    »Ich esse kein Fleisch«, erklärte José, ohne ihm in die Augen zu blicken. Es war das erste Mal, dass er den Mund aufmachte, seine Stimme klang ein wenig belegt. Stumm starrte Cumín ihn an, seine Worte klangen in der Stille nach, und José gefror das Blut in den Adern. Dabei war er eigentlich nicht überrascht. Im Landesinneren stieß man eben auf Menschen, die keine Ahnung davon hatten, was im Rest der Welt vor sich ging.
    Krieg?
, fragten sie …
Seit wann ist denn Krieg?
    Und doch war es bei diesem Mann etwas anderes. Das hier war zwar das Ende der Welt, aber José hätte schwören können, dass er bestens Bescheid wusste.
    »Das ist Schweinefleisch«, erklärte Cumín und hielt ihm das Brett direkt vor die Nase.
    José blieb nichts anderes übrig, er wählte das kleinste Stück und führte es mit sichtlichem Misstrauen zum Mund. Cumín blieb vor ihm stehen und wartete, bis er drei-, vier-, fünfmal gekaut und das Stück Wurst hinuntergeschluckt hatte. Josés Skepsis schien ihn zu amüsieren.
    »Na, schmeckt’s Ihnen?«
    José nickte, es schmeckte widerlich.
    »Bei sich zu Hause haben Sie solche Wurst doch bestimmt mal gegessen.«
    »Nicht dass ich wüsste.«
    »Das kann ich mir nicht vorstellen. Möchten Sie noch mehr?«
    »Nein, danke.«
    »Wenn es bei Ihnen etwas gibt, dann doch wohl Schwein in allen Varianten.«
    Er spießte zwei Stücke für Yanka auf, die sich die ganze Zeit nicht von der Stelle gerührt hatte.
    »Hier, iss.«
    »Ich habe keinen Hunger.«
    »Aber das da drin«, sagte Cumín und hielt ihr die Messerspitze an den Bauch. Er beobachtete genau, wie sie kaute, und bewegte sich nicht, bis sie die Wurst hinuntergeschluckt hatte. Schließlich stellte er Eva und Enzo das Brett hin.
    »Das hier war unser letztes Tier, das erste, das Lemún ganz allein geschlachtet hat. Es war für einen besonderen Anlass gedacht …«
    »Das wäre doch nicht nötig gewesen.«
    »Probieren Sie«, wiederholte er und fuchtelte mit dem Messer in der Hand herum.
    Derweil wurde der Mate herumgereicht, und José beobachtete entgeistert, was man hier bedenkenlos an Keimen weiterreichte: Der Matebecher ging von Mund zu Mund, das Mundstück von Speichelresten, kleinen Matekraut- und Wurstfetzen zugekleistert. Eins der Wurststückchen war so groß, dass Yanka es mit dem Fingernagel herauspulte, bevor sie den Trinkhalm zum Mund führte. Fassungslos verfolgte er, wie sie zwischen zwei Schlucken auf einem Stück Wurst herumkaute. Er musste sich beherrschen, nicht sein Notizheft hervorzuholen und auf der Stelle festzuhalten, welch wunderbare Körpervielfalt sich ihm hier darbot. Es war der reinste Vergnügungspark: Häute, Knochen und Organe in allen Größen und Farben, Missbildungen, Schwangerschaften, Blutsbande … Zwei ganz unterschiedliche Stammbäume, die wirklich alles boten: erfolgreiche genetische Auslese bei den blonden, hellhäutigen Kindern, Rassenkreuzung bei den Eltern, animalisches Erbgut bei den Dunkelhäutigen und sogar Inzest … Woher sollte sonst dieser zweite trächtige Bauch stammen?
    »Im wievielten Monat sind Sie?«, wandte er sich auf Deutsch an Eva.
    »Siebzehnte Woche.«
    Sie antwortete auf Spanisch, als wolle sie klarstellen, dass sie nicht seine Vertraute war. Dass sie nichts teilten, bis auf den Weg durch die Wüste. Es war ihr schon eine ganze Weile unangenehm, dass der Fremde sie so ungeniert musterte. Dann schien er seine Aufmerksamkeit auf die andere Schwangere zu lenken, die ihnen nun in Aluminiumbechern den aufgekochten Mate reichte. José war sich im klaren darüber, dass er zu viel fragte, aber es reizte ihn einfach zu sehr.
    »Und was ist mit dir?«, drängte er.
    Yanka hob den Blick und sah ihn fragend an.
    »In wievielten bist du?«
    »Wer hat Ihnen denn gesagt, dass sie schwanger ist?«, fuhr Cumín harsch dazwischen.
    Wieder verstummten alle.
    Da riss Nahuel die Tür auf und stürmte zurück ins Haus, auf der Stirn eine vom Hagelschlag verursachte Beule. Wortlos legte er Herlitzkas Fuß auf den Tisch. Die Hundezähne hatten ihm ziemlich zugesetzt, von den kleinen rosa Zehen war kaum noch etwas zu erkennen. Nahuel trat ans Feuer, zog

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