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Wakolda (German Edition)

Wakolda (German Edition)

Titel: Wakolda (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucia Puenzo
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richtete, sah rasch zu Boden und zog sich den Hut ins Gesicht. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und stapfte wutentbrannt zu seinem Wagen. Dieser Vollidiot mit seinem edlen Getue hatte es doch tatsächlich geschafft, dass er sich in seinem Versteck nicht mehr sicher fühlte. Und das ausgerechnet jetzt, wo die Häscher ihm auf den Fersen waren. Das Foto durfte auf keinen Fall an die Öffentlichkeit gelangen. Er stieg in den Chevrolet, schlug die Tür zu und warf den Motor an, blickte kurz über die Schulter durch die Heckscheibe und setzte mit Vollgas zurück. Er musste dringend etwas unternehmen. So leicht würde er sich nicht vertreiben lassen. Er schoss rückwärts durch die Ausfahrt auf die Straße, bremste mit quietschenden Reifen und wollte gerade den Vorwärtsgang einlegen, da sah er Lilith durchs Gartentor stürmen. Sie machte ihm wilde Zeichen. Er stieß die Beifahrertür auf, und mit einem Satz war sie auf dem Sitz.
    »Los, fahren Sie.«
    »Was soll denn das werden?«
    »Ich komme mit«, keuchte sie und strahlte vor Vorfreude.
    »Hast du gefragt?«
    »Brauch ich nicht.«
    »Lilith …«
    Sie sah ihm ins Gesicht und feixte:
    »Keine Sorge, ich werd Ihnen schon nichts tun … Jetzt fahren Sie doch endlich los!«
    José blieb keine Wahl.
    Noch auf den ersten Metern der unbefestigten Straße beugte Lilith sich vor und schaltete das Radio an; eine ganze Weile drehte sie den Knopf hin und her und probierte die Sender durch. Schließlich entschied sie sich für ein Stück von Charlie Parker und ließ sich befriedigt in den Sitz zurückfallen. José sah sie von der Seite an. Er hasste solche Trompeten- und Saxophonmusik, sagte aber nichts. Lilith hatte die Augen geschlossen und war dabei, ihre Zöpfe zu lösen; dann kurbelte sie die Scheibe herunter, steckte den Kopf hinaus und ließ ihr Haar im Wind flattern. Als sie spürte, dass José sie musterte, zog sie den Kopf wieder ein und lehnte sich im Sitz zurück.
    »Magst du Jazz?«, fragte er.
    »Was ist Jazz?«
    »Das, was du da gerade mitträllerst.«
    »Ach so. Keine Ahnung.«
    Sie blickte auf den See, der sich vor ihnen erstreckte.
    »Wussten Sie, dass der Gutiérrez-See früher Auge Gottes hieß, auf Tehuelche? Und dass es in Feuerland einen See gibt, der einmal Schlafender Horizont genannt wurde und jetzt Monseñor Fagnano heißt, wie der Priester, der damals die Truppen begleitet hat?«
    »Wo hast du das denn alles her?«, fragte José. Er ahnte es bereits.
    »Der Franzose hat das erzählt.«
    Er musste etwas gegen diesen Mann unternehmen. Und zwar schnell. Bevor er seiner kleinen Schülerin Flausen in den Kopf setzte.
    »Wo fahren wir eigentlich hin?«
    »Ein Denkmal ansehen.«
    »Hier in der Stadt?«
    »Nein, noch ein bisschen weiter.«
    José folgte der Wegbeschreibung, die er im Kopf hatte, und bog in die Hauptstraße ein. Noch fünfundzwanzig Kilometer bis nach Villa Tacul. Als er in Bariloche ankam, hatte er sich sofort erkundigt, ob er noch stand, der Bunker, den sie damals am Ufer des Nahuel Huapi errichtet hatten, achtundzwanzig Kilometer östlich von Bariloche, gut vom Wasser aus erreichbar, selbst für große Schiffe. Er hatte davon gehört, doch früher war dies für ihn ein ferner Punkt auf der Landkarte gewesen, ein unwirklicher Ort am Ende der Welt. Der Bunker sei noch zu finden, hieß es, allerdings sei nicht mehr viel davon übrig. Vor zwei Jahren nämlich war die argentinische Armee mit sechzig Einheiten angerückt und hatte ihn in einer nächtlichen Aktion gesprengt. Die Detonation war bis nach Bariloche zu hören gewesen, das Beben hatte die Leute im Umkreis von 30 Kilometern aus dem Schlaf gerissen, und am Morgen hatte eine dichte schwarze Wolke am Himmel gestanden. In wenigen Stunden war es vorbei gewesen mit dem geheimen Rückzugsort, den die Deutschen sich hier geschaffen hatten.
    Wenn Sie ihn noch sehen wollen, sollten Sie sich beeilen
, hatte man ihm geraten. Die Trümmer würden nämlich bald spurlos entfernt werden. Befehl von oben.
    »Ist es noch weit?«, fragte Lilith.
    »Wir sind gleich da.«
    Vor Villa Tacul bog er rechts ab und fuhr noch etwa einen Kilometer in Richtung See weiter, sie waren jetzt mitten im Niemandsland. Lilith spähte unruhig aus dem Fenster in die Wildnis und zappelte auf ihrem Sitz herum. Ihre Abenteuerlust hielt sich meist nicht allzu lange, am liebsten wäre sie wieder umgekehrt, es war ihr unheimlich hier. Doch es war bereits zu spät. Ohne sich um Lilith zu kümmern, war José aus dem Auto gestiegen

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