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Wakolda (German Edition)

Wakolda (German Edition)

Titel: Wakolda (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucia Puenzo
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und in Richtung Ufer losgestapft. Der Wald war das reinste Dickicht. Kaum vorstellbar, dass man hier mit Maschinen und Zement angerückt war, um einen Bunker zu bauen. José drehte sich um. Lilith stand neben dem Auto und blickte ihm unsicher hinterher.
    »Na los! Von jetzt an geht’s zu Fuß weiter!«, rief er und hatte ihr schon wieder den Rücken zugedreht.
    José wusste genau, dass sie ihm nachlaufen würde, wie ein junger Hund, der seinem Herrchen folgt, selbst wenn er größte Gefahr wittert. Ohne auf Lilith zu warten, stapfte er weiter.
    Schon war sie hinter ihm, er bog einen Zweig zurück und hielt ihr den Weg frei.
    »Willst du vorgehen?«
    »Lieber nicht. Ich bleibe besser hinten.«
    Es knackte laut im Geäst. Lilith klammerte sich an Josés Arm. Es war dämmrig hier unten zwischen den riesigen Bäumen, deren Wipfel sich hoch oben über ihnen schlossen. José trug lange Hosen, Lilith aber nur ein kurzes Kleid, das ihr knapp bis zu den Knien reichte. Nach wenigen Metern waren ihre Beine von Ästen und Dornen zerschrammt.
    »Stell dich mal da rauf«, sagte José und zeigte auf einen vermoosten Baumstamm zu seiner Rechten. Er stellte sich davor und bot ihr seinen Rücken an. Lilith zögerte kurz. Sie konnte unmöglich zugeben, dass sie lieber zurück nach Hause wollte. Außerdem war es ziemlich aufregend, hier ganz allein mit José im Wald herumzustreunen. Wenn das nicht ein echtes Abenteuer war! Sich an seinen Schultern festhaltend, sprang sie ihm mit einem Satz auf den Rücken und schlang die Beine fest um seine Taille; José fasste ihre Beine unter den Kniekehlen und zog sie fest an sich. So nah hatte er sie noch nie gespürt.
    »Haben wir uns verirrt?«, fragte Lilith nach einer Weile.
    »Nein, nein, keine Angst, wir sind auf dem richtigen Weg.«
    Er spürte ihren Atem im Nacken und legte zwei Finger in ihre Kniekehlen, dorthin, wo kein Mann sie bislang berührt hatte.
    »Ein Dichter hat einmal gesagt, Liebe ist ein Verbrechen, das sich nicht ohne einen Komplizen begehen lässt.«
    Lilith überlegte einen Moment und erkundigte sich interessiert:
    »Und wer ist der Komplize?«
    »Das bist du.«
    José schlug sich weiter durchs Unterholz, schaute sich suchend um, irgendwo hier musste es sein. Aber die Bunkerreste waren so stark von Pflanzen überwuchert, dass die Trümmer darunter auf den ersten Blick nicht zu erkennen waren. Er setzte Lilith auf einem überwachsenen Zementbrocken ab.
    »Da wären wir.«
    José war froh, dass er Lilith mitgenommen hatte; er war nicht gern allein. Früher hatte er seine Hofschranzen um sich versammelt, damit sie ihn bewunderten, und heute, wo er auf sich gestellt war, musste notfalls eben ein kleines Mädchen herhalten. Hier stand er nun, inmitten von Ruinen, seine Träume lagen in Schutt und Asche, seine Zukunft gab es nicht mehr. Eine Welle von Wehmut erfasste ihn, seine Miene verdüsterte sich. Sollte da wirklich gar nichts mehr sein? Er stocherte enttäuscht im Gestrüpp und trat mit dem Fuß nach einem Zementbrocken.
    Weit und breit nichts als Trümmer.
    José brauchte kein Wort zu sagen, Lilith begriff auch so, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Sein ohnmächtiger, sprachloser Zorn machte ihr Angst.
    »Mir ist kalt«, sagte sie leise.
    Wortlos stolperte José an ihr vorbei zum Seeufer, wo er sich in dramatischer Pose auf einen Zementbrocken stützte und vor sich hinzumurmeln begann, als hielte er Zwiesprache mit einem Gespenst. Lilith schlich ihm nach. Aus dem abgehackten Gezischel schnappte sie ein paar einzelne deutsche Worte auf. José schien zu fluchen.
    »Ist alles in Ordnung?«, fragte Lilith zaghaft.
    José würdigte sie keines Blickes, als habe er sie gar nicht gehört. Er war wie weggetreten. Stumm harrte Lilith neben ihm aus, bis die ersten Tropfen eines heraufziehenden Gewitters fielen.
    »Ich will nach Hause, José.«
    »Wann wir nach Hause fahren, bestimme ich.«
    Es war nicht nur der schneidende Ton. Es war ein kurzer Blick, eiskalt und voller Verachtung, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Das war nicht mehr der edle Kavalier, an dem sie so hing. Nichts wie weg hier, dachte sie, drehte sich um und preschte blindlings los, auf das Dickicht zu. Sie rannte, so schnell sie konnte, doch schon nach wenigen Metern war José bei ihr, packte sie am Arm und hob sie hoch. Wie wild schlug sie um sich, strampelte mit den Beinen in der Luft und schrie, er solle sie sofort herunterlassen. Er setzte sie ab und entschuldigte sich dafür, dass er sie

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