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Walburgisöl - Oberbayern-Krimi

Walburgisöl - Oberbayern-Krimi

Titel: Walburgisöl - Oberbayern-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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zauberte aus einem Küchenschrank eine Bierflasche aus Plastik, und als sie den Schraubverschluss abgedreht hatte, war Morgenstern froh, dass es sich nur um ein 0,33-Liter-Fläschchen handelte. Die Hälfte davon goss sie ihm in ein altes Senfglas: Das würde er wohl schaffen.
    »Guten Appetit«, sagte sie und prostete ihm zu.
    »Mahlzeit«, sagte Morgenstern und trank einen Schluck der lauwarmen Discounter-Eigenmarke »Brauerstolz«. Um ein Haar hätte er ihn wieder ausgespuckt.
    »Was wollen Sie jetzt noch wissen?«, fragte Walburga Zinsmeister wenig später mit vollen Backen, während Morgenstern ratlos in seinem überquellenden Teller stocherte.
    »Ich wüsste gern, warum Sie der Tod von Matthias Schreiber so stark beschäftigt. Ich habe den Eindruck, als wären Sie sogar erleichtert darüber. So ist es doch, nicht wahr? Sie sind froh darüber?«
    »Ja, ich bin froh darüber«, sagte Walburga Zinsmeister schmatzend, und Morgenstern sah voll Ekel, wie sie schon wieder einen großen Löffel schwarzer Blutwurstpampe in den Mund schob.
    Er dachte an die Anliegenbücher in der Walburgisgruft und die rätselhaften Einträge, die die alte Frau dort hinterlassen hatte. Er ging in die Offensive. »Ich weiß, dass Sie irgendwann im Krieg etwas Wertvolles verloren haben, etwas Unersetzliches, und dass Sie diesen Verlust nicht verwunden haben. Ich will wissen, was das ist. Und ich will wissen, was Schreiber damit zu tun hat.«
    Walburga Zinsmeister deutete auf seinen vollen Teller. »Nun essen Sie doch, es wird ja alles kalt.«
    Gehorsam schob sich Morgenstern eine Gabel Sauerkraut, gekrönt von einem Batzen verkochter Wurst, in den Mund. Er begann zu schwitzen. Das war das Scheußlichste, was er jemals gegessen hatte – mochten bayerische Metzgermeister sowie Feinschmecker in aller Welt die Blutwurst auch für eine Delikatesse halten. Mit Mühe schluckte er den Bissen hinunter – wenigstens konnte man sich bei dieser Konsistenz das Kauen sparen.
    »Also, wie war das jetzt mit Schreiber?«, fragte er so souverän, wie ihm das unter den momentanen Umständen möglich war.
    »Zwischen ihm und mir gab es eine alte Rechnung«, antwortete Walburga Zinsmeister fast bedrohlich leise. »Und er war sich so sicher, dass die Sache längst aus der Welt wäre.«
    Morgenstern wurde hellhörig. »Eine alte Rechnung? Welche denn? Ging es um Geld?«
    »Sie ziehen Ihre Schlüsse immer zu voreilig, junger Mann«, sagte Walburga Zinsmeister tadelnd. »Das habe ich eben schon bemerkt. Ich spreche von einer Wurst, und Sie denken an Bratwurst. Ich spreche von einer Rechnung, und Sie denken an Geld. – Nein. Nichts, was man mit Geld zurückbezahlen könnte. Er wusste nicht einmal, dass er in meiner Schuld stand. Er dachte, alles wäre vergessen.« Wieder wurde der Blick der Frau hart. »Alle, alle in dieser Stadt wollen immer nur vergessen. Ich nicht. Ich habe immer daran gedacht. An jedem einzelnen Tag.«
    Erneut deutete sie auf Morgensterns fast vollen Teller, nun unverkennbar vorwurfsvoll. »Nun essen Sie doch, Herr Kommissar.«
    Morgenstern nahm einen weiteren großen Bissen Wurst-Kraut-Gemisch und dann in einem Anflug von Verzweiflung gleich noch einen. Er spülte mit einem Schluck Plastikbier nach und spürte mit einem Mal, dass er ganz dicht an einem entscheidenden Gedanken war, den er nur erhaschen musste. Blutwurst, dachte er, Blutwurst. Plötzlich spürte er, wie sich seine Kehle zuschnürte, wie ihn etwas würgte – es war die Blutwurst, die in seinem Hals hochstieg und sich mit Gewalt Ausgang verschaffen wollte, unterstützt von dem viel zu stark gehopften, süßlichen, ungekühlten Billigbier. Morgenstern sprang von seinem Stuhl auf. »Ich brauche ganz schnell eine Toilette!«
    »Was ist denn? Sie sind ja auf einmal ganz blass«, sagte Walburga Zinsmeister.
    »Ihre Toilette? Das Klo?«, forderte Morgenstern.
    »Ganz am Ende vom Gang die letzte Tür rechts«, sagte die alte Frau, und Morgenstern stürzte hinaus.
    Kopfschüttelnd sah ihm Walburga Zinsmeister nach, dann aß sie mit ungebrochenem Appetit ihren Teller leer. »Die jungen Leut sind alle gleich. Die wissen halt nicht, was gut ist«, murmelte sie missbilligend, während sie Morgensterns Reste in den Krauttopf zurückleerte.
    Zur gleichen Zeit kniete der Kommissar über der Toilettenschüssel und entledigte sich mit tränenden Augen seines Mageninhalts.
    Die Toilette war eine handtuchschmale, lange Kammer, deren Boden nicht etwa gefliest war, sondern aus breiten, dunkelbraun

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