Walburgisöl - Oberbayern-Krimi
Ausnahme? Warum haben Sie ihm Blumen gekauft?«, beharrte Morgenstern. »Waren Sie mit ihm befreundet? Hat er Ihnen irgendwann geholfen, vielleicht schon vor langer Zeit, nach dem Krieg?«
Walburga Zinsmeister schaute Morgenstern verständnislos an.
»Wie kommen Sie denn darauf?«
»Ach, nur so«, nuschelte Morgenstern. »Wir haben uns halt ein bisschen schlaugemacht.«
»Sagen Sie mal, was haben Sie denn sonst noch alles über mich ermittelt?«, fragte Walburga Zinsmeister misstrauisch. »Ich finde es sonderbar, dass Sie sich so sehr für eine alte Frau wie mich interessieren.«
»Wir wollen nur wissen, was Sie und Herr Schreiber verbindet, das ist alles.«
»Das geht nur ihn und mich etwas an.«
»Das sehen wir von der Polizei leider anders. Wenn ein Mensch ermordet wurde, gibt es keine Privatsphäre mehr. Dann müssen die Karten auf den Tisch.«
»Ich muss Ihnen gar nichts sagen«, sagte Walburga Zinsmeister leise. »Aber Sie können mir glauben, dass ich Matthias Schreiber schon sehr, sehr lange gekannt habe. Besser als mancher andere.«
»Das hört sich an, als hätte er ein Geheimnis gehütet«, schoss Morgenstern ins Blaue.
»Hat nicht jeder Mensch seine Geheimnisse?«, fragte die alte Frau zurück. »Sie haben doch bestimmt auch welche, Herr Kommissar?«
Morgenstern dachte nach. Natürlich gab es Dinge, von denen er inbrünstig hoffte, dass niemand dahinterkam. Erinnerungen, die er im hintersten, dunkelsten Winkel seines Gedächtnisses eingekerkert hatte, gesichert mit dreifachem Vorhängeschloss und einer Alarmanlage, die losging, sobald sich ein Gedanke nur in die Nähe verirrte. Auch seine Versetzung nach Eichstätt fiel in diese Rubrik.
»Sie und Herr Schreiber teilten also ein Geheimnis?«
»Wenn Sie so wollen.«
Morgenstern straffte sich. »Ich gebe jetzt einfach einen Tipp ab, und Sie sagen mir, ob ich richtigliege. Es hängt mit Ihrem Sohn Gottfried zusammen.«
Walburga Zinsmeister machte ein überraschtes Gesicht. »Richtig«, sagte sie.
»Dann ist Matthias Schreiber, auch wenn er damals erst ein Jugendlicher war, der Vater von Gottfried«, mutmaßte Morgenstern.
»Falsch«, sagte die alte Frau und drückte den Rücken durch. »Und ich denke, dass Sie mit dieser Frage meine Geduld genug strapaziert haben, mehr noch, Sie haben mich beleidigt. Niemals hätte ich mich mit einem Milchgesicht von der Hitlerjugend eingelassen. Niemals.«
»Schreiber war bei der Hitlerjugend?«, fragte Morgenstern überrascht.
»Wundert Sie das? Sie müssen sich nur ein bisschen in der Stadt umhören, dann werden Sie rasch erfahren, welche Ansichten er vertreten hat. Manche Menschen werden mit dem Alter weiser, aber zu denen gehörte er nicht. Die meisten ändern sich nie.«
»Wenn Sie Schreiber für einen schlechten Menschen halten, warum dann die Blumen?« Morgenstern war nahe davor, zu fragen, warum der Sonnenblumenstrauß so lieblos mit der nächstbesten Kordel zusammengezurrt worden war. Aber er hatte das Gefühl, dass er sich diese Frage noch aufsparen sollte.
»Ich hatte meine Gründe«, sagte Walburga Zinsmeister kurz angebunden.
»War denn Ihr Sohn, der Gottfried, auch auf der Beerdigung?«
»Nein.«
»Und warum nicht, wenn es doch dieses verbindende Geheimnis gibt?«, bohrte Morgenstern nach.
»Gottfried weiß nichts davon, und das soll auch so bleiben. Ich habe nie mit ihm darüber gesprochen. Ich war immer der Ansicht, er sollte unbeschwert aufwachsen. Aber das stellt man sich immer so einfach vor. Er ist nicht unbeschwert aufgewachsen. Gottfried war immer ein stilles, nachdenkliches Kind. Er hat es nicht leicht gehabt. Wir waren arm, und er hatte nur mich. Und ich war oft nicht zu Hause. Ich musste Geld verdienen.«
»Was haben Sie gearbeitet, Frau Zinsmeister?«
»Ich habe für das Forstamt gearbeitet. Draußen im Wald. Ich habe Bäume gepflanzt, Zäune gebaut, ausgegrast.«
»Ausgegrast?«
»Kennen Sie das nicht? Im Sommer muss man durch die Schonungen und das Unkraut mit der Sichel abschneiden. Sonst ersticken die kleinen Bäume unter Brombeerranken. Eine schwere Arbeit, wenn es heiß ist und einem die Bremsen um den Kopf schwirren. Und trotzdem war es damals eine Frauenarbeit.«
»Was haben Sie für eine Ausbildung?«, wollte Morgenstern wissen.
»Ich war Krankenpflegerin, hier im Lazarett in der Eichstätter Jugendherberge. Gleich da drüben, unterhalb der Willibaldsburg.« Sie deutete vage aus dem Fenster nach Westen. »Aber nach dem Krieg hat man natürlich nicht mehr so
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