Walburgisöl - Oberbayern-Krimi
viele Pflegerinnen gebraucht. Und ich hatte keine richtige Ausbildung, keine Lehre oder Ähnliches. Viele von uns waren damals nur angelernt. Ich auch. Und dann war ich schwanger und musste sehen, wo ich bleibe mit meinem Gottfried. Es war eine schwere Zeit, das können sich junge Menschen wie Sie nicht vorstellen. Aber wir sind durchgekommen. Mit Gottes Hilfe.«
»Und mit Hilfe der heiligen Walburga«, fügte Morgenstern fromm hinzu.
»Ja, auch mit Walburgas Hilfe«, sagte Walburga Zinsmeister und blickte Morgenstern dann überrascht an. »Wie kommen Sie darauf?«
»Ach, nur so. Hier in Eichstätt ist die heilige Walburga doch allgegenwärtig«, beeilte er sich zu sagen. »Sie haben einen besonders guten Draht zu ihr, nicht wahr?«
Walburga Zinsmeister nickte. »Sie ist schließlich meine Namenspatronin. Wie heißen Sie denn?«
»Mike«, murmelte Morgenstern und fügte dann rasch hinzu: »Also eigentlich, äh, Michael.«
»Der Erzengel Michael mit dem Flammenschwert. Ein starker Heiliger. Der gefällt mir.« Die Andeutung eines Lächelns spielte um Walburga Zinsmeisters Mund. »Ich sehe ihn mir oft an.«
»Wen sehen Sie sich an?«, fragte Morgenstern verwirrt.
»Den Erzengel Michael. Den Kämpfer für das Gute. Gehen Sie doch mal in die Schutzengelkirche hier in Eichstätt, am Leonrodplatz. Schauen Sie sich dort das Altarbild an. Es ist gewaltig.« Sie beschrieb mit den Händen die Dimensionen des Gemäldes und fuhr dann schwärmerisch fort: »Auf dem Bild sehen Sie, wie der Erzengel Michael den Teufel in den Abgrund gestoßen hat. In die Hölle. Hinab ins ewig lodernde Feuer. Zum Gewürm. Sankt Michael, der Arm der Gerechtigkeit.« Walburga Zinsmeisters Augen waren bei den letzten Worten hart geworden. Sie starrte Morgenstern herausfordernd an, als wollte sie sehen, ob er sich ähnlich begeistern könnte.
»Dann heiße ich doch lieber Mike«, sagte Morgenstern.
»Gerechtigkeit«, wiederholte Walburga Zinsmeister. Dann stand sie auf, ging zum Herd und sah nach den Kartoffeln.
»Sie sind fertig«, sagte sie, nachdem sie mit einer Gabel in eine hineingestochen hatte. »Wenn Sie noch hierbleiben wollen, können Sie gerne mit mir mitessen. Es reicht für uns beide, Herr Kommissar. Seien Sie mein Gast.«
Morgenstern zögerte kurz. Kartoffeln mit Kraut und Wurst, warum eigentlich nicht? Vielleicht würde das gemeinsame Mahl das Gespräch lockern. Er hatte das Gefühl, dass etwas Unausgesprochenes, Entscheidendes in diesem kleinen, niedrigen Raum schwebte. Er musste der alten Frau Zeit lassen.
»Danke, ich esse gerne eine Kleinigkeit mit, Frau Zinsmeister«, sagte er, worauf sie zwei Teller und Besteck deckte, die Kartoffeln zum Selbstschälen auf den Tisch stellte und einen zweiten, dampfenden Topf mit dem Kraut danebenplatzierte.
»Wo sind denn die Bratwürste?«, fragte Morgenstern unhöflich.
»Wer hat denn etwas von Bratwürsten gesagt?«, fragte Walburga Zinsmeister zurück. »Bei mir gibt es heute etwas ganz Feines: Blutwurst. Frisch geräuchert.« Und mit einer fast schon feierlichen Geste hob sie den Deckel vom Krauttopf.
Morgenstern beugte sich nach vorne, und was er sah, ließ ihm den Atem stocken: Auf einer Schicht wässrigen Sauerkrauts lag ein dickes, unförmiges, braun-schwarzes Etwas. Groß wie ein Kinderschuh, an beiden Seiten mit Schnur zugebunden.
»So, bitte schön, der Herr.« Walburga Zinsmeister lud erst Morgenstern und dann sich selbst eine große Portion Sauerkraut auf den Teller. Dann nahm sie ein Fleischermesser und eine Gabel und zerlegte die Blutwurst mit einem raschen Schnitt in zwei genau gleich große Teile.
Im Krautdampf war die Wurst, wie Morgenstern mit Bestürzung feststellte, durch viel zu langes Kochen zu beträchtlichen Teilen vom festen Aggregatzustand in den flüssigen übergegangen – eine dunkle, fast schwarze Masse, gespickt mit glänzenden Fettwürfelchen, verteilte sich im Topf. Mit einem Suppenlöffel schaufelte Walburga Zinsmeister Morgenstern exakt die Hälfte der Blutwurstmasse über seine Krautportion, den Rest nahm sie sich selbst. Dann ging sie zum Kühlschrank und kehrte mit einem Becher Discountermargarine zurück.
»Für die Salzkartoffeln«, erklärte sie. »Herrschaft, jetzt haben wir noch gar nichts zu trinken. Wollen Sie sich ein Bier mit mir teilen?«
»Gern«, brummte Morgenstern, auch wenn er sich keinerlei Hoffnungen machte, dass hier das örtliche, relativ hochpreisige Hofmühlbier kredenzt würde. So war es denn auch. Die alte Frau
Weitere Kostenlose Bücher