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Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Titel: Wald aus Glas: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schertenleib
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Glück.«
    »Danke«, antwortete sie.
    »Und steigen Sie nicht zu jedem ins Auto! Sind nicht alle so wie ich.«
    »In meinem Alter hat man keine Angst mehr vor den Männern«, sagte sie und warf die Autotür zu.
    Der Mann sah sie nachdenklich an, nickte und fuhr los. Der Regen war fein und eigentümlich warm. Als werde ein warmes Netz um mich gelegt, dachte Roberta. Prinz schüttelte sich mit fliegenden Ohren und durchgedrücktem Rückgrat, ein Hund, der eben aus einem Fluss gestiegen ist, wie früher, als er noch jung gewesen war. Sie schloss die Augen und hob das Gesicht in die Tropfen, als werde sie liebkost.

6
    Das Maisfeld schloss sich hinter ihr, raschelnd wie der Theatervorhang damals im Schauspielhaus in Zürich, wo sie sich mit der Klasse Friedrich Dürrenmatts »Verdacht« angesehenhatten. Ayfer blieb stehen und blickte über eine Böschung auf das Sträßchen hinunter, das an der Häuserzeile entlanglief. Sie wartete, bis sich ihre Augen an das Licht gewöhnt hatten, dann stieg sie über die Böschung hinunter; die rötliche Erde war staubtrocken und steinhart, darum fand sie kaum Halt und wäre beinahe gestolpert. Die Straße war menschenleer, aber hinter einem der Fenster bemerkte sie ein Kind, das sie anstarrte und erst winkte, als es begriff, dass sie es gesehen hatte. Das Kind trug ein Kopftuch, seine Augen waren riesengroß. Ayfer hob die Hand und lächelte dem Mädchen zu, blieb aber nicht stehen. Sie beschloss, in die Richtung zu gehen, in der das Sträßchen auf der einen Seite an offene Wiesen grenzte und auf der anderen an einen Kiefernwald. Sie musste sich so rasch wie möglich verstecken können, solange sie noch zu Fuß unterwegs war und niemand sie mitgenommen hatte. Sie hörte, wie ein Fenster geöffnet wurde, und drehte sich um: Das Mädchen mit Kopftuch lehnte sich aus dem Fenster und winkte ihr zu. Ayfer hob noch einmal die Hand, winkte und ging weiter. Yeter hatte ihr eines Morgens ein türkisches Modemagazin in die Hand gedrückt, »Alâ«, mit einem Mädchen auf dem Cover, das jünger war als Ayfer, einen Türban in leuchtendem Pink trug und strahlend in die Kamera sah. »Sich bedecken ist schön«, hatte Yeter wie schon am Strand gesagt, »schau, wie glücklich sie ist. Ein Türban ist modischer als ein Kleid von H&M. Das Magazin darfst du behalten.« Ayfer hatte das Magazin in den Schrank gelegt, ohne es sich auch nur einmal anzusehen.
    Die Sonne brannte auf ihren Rücken, die Straße wand sich vor ihr durch die Landschaft. Sie wusste nicht, wo sie sichbefand; der Reisebus war etwas länger als eine Stunde unterwegs gewesen, die Raststätte, an der er angehalten hatte, lag also ziemlich sicher an der E 80, der Autobahn, auf der man Richtung Westen nach Edirne und Richtung Osten ins Landesinnere, nach Ankara oder an die Badeorte am Marmarameer gelangte. Sie hatte sich die Landkarte eingeprägt, die im Hotel ihres Onkels im Foyer hing, aber sie konnte natürlich trotzdem nicht wissen, auf welcher Straße sie sich befand. Wieso habe ich mich nicht nach dem Ziel der Reisegruppe erkundigt? Sie öffnete das Seitenfach ihrer Tasche und nahm das Handy heraus, aber dann schaltete sie es doch nicht ein. Das Lachen der Mädchen, das sie hinter Davors Stimme gehört hatte, war nicht einfacher zu verdrängen als der Klingelton seines Handys, das sie so oft zu hören bekam, wenn sie mit ihm zusammen war, wobei es sie besonders verunsicherte und verletzte, dass er die Anrufe nie annahm, sondern nach flüchtigem Blick auf das Display wegdrückte. Abgesehen von Ajla und Dasara rief sie nie jemand an, schon gar nicht, wenn sie mit ihm zusammen war.
    Einmal hatte sie Tante Yeter in ihrem Büro im neuen Anbau dabei beobachtet, wie sie am Schreibtisch saß und verträumt aufs offene Meer hinaussah, während sie den traurigen Liedern von Dede Efendi lauschte, die von einem längst untergegangen Istanbul erzählten, der Stadt von Yeters Kindheit. Weich war das Gesicht ihrer Tante gewesen wie sonst nie, weich und offen, ein Gesicht, das Empfindungen verriet, statt verbarg, ein Gesicht, das zum Satz passte, mit dem sie Ayfer begrüsst hatte: » Gadan alyim«, lass mich dein Opfer sein. Das Gesicht einer Frau, die liebte, nicht verachtete. In diesem Moment war Ayfer mit Yeter versöhnt gewesen, wenn auch nur kurz,weil sie wusste, dass ein einziges Wort ihrer Tante genügte, um Zauber und Komplizenschaft zu zerstören.
    Der Himmel hier in der Türkei war von einer Farbe, die Ayfer aus der Schweiz nicht

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