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Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Wald aus Glas: Roman (German Edition)

Titel: Wald aus Glas: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schertenleib
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in der Hand, das er mir durch einen Freund oder Bekannten überbringen ließ, spüre den Wind auf meiner Haut, höre das Rauschen in den Stängeln, das Schurren der Kolben, ich bin abgehauen und bringe Schande über meinen Onkel und meine Tante, Schande über meine ganze Familie, hier stehe ich. Und jetzt will ich mit dem Jungen reden, in den ich verliebt bin. Sie drückte die letzte Taste, hörte, wie die Nummer gewählt wurde und wie es läutete. Davors Klingelton gefiel ihr nicht, sein Handy hatte oft genug geläutet, wenn sie zusammen gewesen waren. Sie ging in die Hocke, als sei es so einfacher, sich mit ihm zu unterhalten, da sah sie den Fahrer des Busses aus der Raststätte treten und stand wieder auf. Der Mann drückte ebenfalls ein Handy ans Ohr und gestikulierte mit dem freien Arm, während er im Schatten des Vordaches auf und ab ging. Davor meldete sich nach dem fünften Klingeln, knapp bevor sich seine Mailbox einschaltete.
    »Du bist es«, sagte er leise, »ich weiß es. Wo bist du? Ich will dich sehen, endlich sehen!«
    Sie hörte, wie er atmete, und sah sein Gesicht vor sich, seine Augen. Im Hintergrund lachte ein Mädchen, schrill und affektiert, dann zischte jemand, und es wurde still. Wie weit entfernt er doch war von ihr, wie weit! Der Fahrer des Busses nickte heftig, sein Bus blitzte, als sei er aus Metall, ein Projektil, das bald auf die Reise geschickt wurde.
    »Sag was!«
    »Ich bin abgehauen«, sagte sie leise.
    »Ohne Scheiß?«
    Sie spürte, wie ein Schluchzen in ihrer Brust aufstieg und drückte die Augen zu, als lasse es sich so verschnüren wie einPaket, das man wohl besser nicht aufmacht. Wieder lachte ein Mädchen. Oder waren es zwei? Davor räusperte sich, irgendwo in seiner Nähe lief Musik.
    »Du bist abgehauen?«
    »Hab ich doch gesagt!«
    Ayfer konnte sich nicht gegen das Weinen wehren, es war größer als sie, es hatte lange gewartet, nun gab sie nach. Sie schluchzte auf, als kämpfe sie gegen den Schluckauf, das Handy an die Brust gedrückt. Sie hörte seine Stimme nicht, aber sie spürte sie als Vibrieren auf ihrem Oberkörper, ein Vibrieren, das sie rührte, weil es ihr das Gefühl gab, er sorge sich um sie. Sie hielt das Handy vor den Mund, sagte »Ich liebe dich, Garschmal« und unterbrach die Verbindung.
    Der Fahrer war jetzt umringt von den Alten, es sah aus, als werde er von ihnen gegen seinen Willen zum Bus geführt. Das Zischen, mit dem die Türen aufsprangen, spürte Ayfer wie einen Stich. Ihr Handy leuchtete auf, das Display zeigte an, dass Davor sie anrief. Sie konnte jetzt nicht mit ihm reden, sie musste weg hier. Sie schaltete das Gerät aus und steckte es ins Seitenfach ihrer Tasche. Ich darf keine Zeit verlieren, sagte sie sich, der Scheißfahrer hat bestimmt bei meinem Onkel angerufen, ich darf nicht in die Nähe der Raststätte, ich muss auf einer der Nebenstraßen weiter, nicht auf der Autobahn, und zwar sofort. Sie teilte den Mais, wie sie es in ihrer Vorstellung getan hatte, und ging quer durch das Feld, ein Mädchen mit einem Ziel.

5
    Prinz hockte zwischen ihnen auf der Sitzbank und sah aufmerksam durch die Frontscheibe des Lieferwagens, während sie durch die engen Kurven talwärts fuhren. Der Zürichsee, der zwischen den Stämmen der Bäume zu erkennen war, sah aus wie gegossenes Blei. An bestimmten Stellen glänzte er, als sei er poliert, an anderen war er stumpf, als schlucke er das Licht.
    »Ich frag Sie jetzt nicht, wieso Sie mit einem Rucksack und einem Hund unterwegs sind«, sagte der Mann, ohne Roberta anzusehen, »und ich frag Sie auch nicht, wohin Ihre Reise geht.«
    »In meinem Rucksack ist ein Zelt.«
    »Und ein Schlafsack«, sagte der Mann.
    »Richtig. Und ein Kocher.«
    »Hab ich vermutet. Ich frag trotzdem nicht.«
    »Ihnen hätt ich es verraten. Und Sie? Was liefern Sie?«
    »Eier.«
    »Eier? An wen?«
    »Restaurants. Cafés. Bäckereien. Und Sie? Abgehauen?«
    Der Mann zog die rechte Schulter hoch, sah aber weiterhin auf die Straße; er steuerte den Lieferwagen mit der linken Hand, die rechte lag auf seinem Oberschenkel und bewegte sich zu einem Takt, den nur er hörte.
    »Ausgerissen, richtig.«
    »Krankenhaus?«
    Jetzt sah er sie doch an. Das Weiß seiner Augen war leicht gelb, wie Zeitungspapier, das eine Weile in der Sonne gelegen hat.
    »Altenheim«, sagte Roberta und tätschelte Prinz’ Kopf.
    »Und der da?«
    »Befreit. Aus dem Zwinger.«
    »Aber er gehört Ihnen?«
    »Natürlich gehört er mir. Oder ich ihm, je nachdem.«
    »Und

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