Wald aus Glas: Roman (German Edition)
anderen Gebäuden, das Gasthaus Fürberg, in dem ihre Schwester Fanny ihre zweite Hochzeit gefeiert hatte. Auf dem Steg, an dem die Kursschiffe anlegten, hockten Möwen, die sich schreiend in die Luft erhoben, als sie und Prinz den Rand der Wiese erreichten. Die Vögel kreisten eine Weile über der Anlegestelle, bevor sie sich auf der Rückenlehne einer Sitzbank am andern Ende der Wiese niederließen. Die Sonnenschirme des Gastgartens waren zusammengebunden, die Stühle verräumt, das Gasthaus hatte Ruhetag. Im Grasstreifen, der den Kiesweg vom Ufer abgrenzte, lag ein einzelner Herrenschuh mit verschimmeltem Oberleder. Das Licht, das sich über Wiese und Baumwipfel legte, war ohne Glanz, der Parkplatz des Gasthauses leer.
Wird Zeit, das Zelt aufzubauen, dachte Roberta, ich bin müde, ich will mich hinlegen und die Augen schließen, meinen Hund neben mir. Zu der Hochzeit ihrer Schwester waren sie mit zwei ausrangierten Postautos von St. Wolfgang, wo die standesamtliche Trauung stattfand, ins Fürberg gefahren worden, deshalb wusste sie, dass es ein kurzes Stück vom Gasthaus entfernt ein Seebad mit Liegewiese gab, das Waldbad Fürberg. Am Rand dieser Wiese wollte sie das Zelt aufbauen, im Schutz der Bäume, wo man es zwar vom Wasser aus sehen konnte, nicht aber von der Waldstraße, die über Ried am See nach St. Wolfgang führte.
ZU HAUSE
1
Die Sonne stand erst nach Mittag hoch genug, um über die Dächer der Lagerschuppen und Gebäudetrakte mit den Werkstätten zu fallen und wenigstens etwas Licht in den Wohnwagen zu bringen. Ayfer lag auf dem Bett, Sonne auf der Stirn, die Augen geschlossen. Seit sie in dem Wohnwagen war, stand die Zeit still. Sie hatte sich den ganzen Morgen beherrscht und weder Ajla noch Dasara angerufen. Gleich nach dem Aufwachen hatte sie daran gedacht, mit ihrer Mutter am Telefon zu reden, keine zwei Kilometer von ihr entfernt, um ihr zu sagen, dass sie sich keine Sorgen um sie zu machen brauche. Aber dann war sie unsicher geworden, ob sich ihre Mutter überhaupt um sie sorgte; immerhin hatte sie Schande über ihre Familie gebracht.
Es war Davors Idee gewesen, dass Ayfer im Wohnwagen seines Onkels blieb, der auf dem heruntergekommenen Industrieareal nebenher als Hausmeister arbeitete. Das Dach des Wohnwagens war mit einer grünen Plastikplane abgedeckt, und er sah aus, als trage er eine Duschhaube, fand Ayfer. Er stand inmitten von Zirkuswagen, die hier überwinterten, am Maschenzaun, der das Areal begrenzte und hinter dem ein Spazierweg entlanglief, der am Schwimmbad vorbei zur Suhre hinabführte. Es gab weder fließend Wasser noch Strom, aber Kerzen und eine Gaslaterne; Davor hatte versprochen,Wasser in Flaschen mitzubringen, damit sie sich waschen und die Zähne putzen konnte. Aus dem Kippfenster über dem Gasherd und der kleinen Spüle blickte sie zwischen zwei Zirkuswagen hindurch auf die grau gestrichene Wellblechwand einer Lagerhalle, in der ein Geschäft für Bambusmöbel und eine Eventfirma untergebracht waren, sonst versperrten die Zirkuswagen, von denen sie umstellt war, die Sicht. Nur wenn sie auf dem Bett lag, konnte sie einen Streifen Himmel und die Äste des Laubbaumes sehen, die die ganze Nacht auf ihr Dach geklopft hatten. Davors Onkel hatte ihr erlaubt, die chemische Toilette und den Herd zu benutzen; verlassen durfte sie ihr Versteck erst nach 18 Uhr, dann war die Chance gering, dass jemand sie sah. Das weitläufige Industrieareal mit den Hallen und Hangars, Durchgängen, Zufahrten und Betonrampen, leerstehenden Schuppen und baufälligen Gebäuden war ihr unheimlich. Viele Scheiben waren eingeschlagen, Ziegelwände und Schiebetore mit Tags und gesprayten Botschaften übersät. Durch den aufgeplatzten Asphalt wuchs Unkraut, überall lagen verrostete Maschinenteile, standen ausgeschlachtete Autowracks. Auf einem Abstellplatz am Bach waren zerlegte Baukräne gelagert, rote und grüne Monster, die sie an vorsintflutliche Eisensaurier erinnerten, die sich hier nur ausruhten, bevor sie in den nächsten Krieg zogen. Ein Fußgängersteg überquerte den Bach direkt über dem Wehr, darum rauschte er wie ein Fluss, wenn man darüber ging; auf der anderen Seite führte der Weg auf die Hühnerwadelgasse, auf der man in wenigen Minuten bei McDonalds am Kreisel vor Möbel Pfister war. Dort hatte Davor letzte Nacht Cheeseburger und Pommes für sie geholt. Er hatte sie mit seinem Onkelam Bahnhof in Zürich erwartet, am Ende des Bahnsteigs. Ayfer hatte nicht gleich begriffen, dass er
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