Wald der Masken
hinabgelangen könnten und die Spalte sich allmählich verengte, könnten wir es schaffen, an die Oberfläche zurückzuklettern.«
»Mythor!« Ilfa schüttelte heftig den Kopf. »Willst du dich selbst betrügen? Wir kleben fest, und selbst falls wir uns befreien könnten, würden wir uns niemals auf die Leiste herabfallen lassen können, sondern dem Marmornen folgen.«
Ein Stöhnen kündigte an, daß Cobor zu sich kam. Mythor wartete nicht darauf, daß er Fragen stellte.
»Roar, ich habe einen Arm frei.«
Der Kruuk bewegte im fahlen Schein der Flechten die linke Hand.
Mythor nickte. »Das dürfte reichen. Ich nehme Ilfas Schwert, und du versuchst, die Netzstricke mit dem Kampfhammer zu durchschlagen – aber so hoch wie nur möglich über deinem Kopf. Sobald sie sich lösen, werden sie in die Tiefe fallen, von uns herabbaumeln und sich wieder an der Wand verankern. Alles, was wir dann noch zu tun brauchen, ist uns fallen zu lassen. Sie werden uns halten, wenn unsere Füße nur noch knapp über der Leiste sind.«
»Was ist geschehen?« fragte Cobor.
Mythor erklärte es ihm in wenigen Worten. Es kam darauf an, daß jetzt jeder genau wußte, wie er sich zu verhalten hatte.
»Der Marmorne tot?« Cobor lachte rauh. »Niemals, Mythor! Du magst es glauben oder wünschen, aber ich weiß es besser. Nichts vermag einen Marmornen zu zerstören.«
»Ach ja?« fauchte Ilfa ihn an. »Und wie war das mit deinem Kampf?«
»Ich mußte es tun, auch wenn ich dabei gestorben wäre.«
»Das wärst du mit Sicherheit. Also warum?«
»Weil ich…«
Er sprach nicht weiter. Mythor wurde ungeduldig. Ilfa aber sagte: »Was haben wir davon, wenn Cobor wieder verrückt wird? In unserer Lage muß sich jeder auf den anderen blind verlassen können. Also weshalb haßt du die Marmornen so, Cobor? Doch nicht nur wegen deiner Stirn?«
»Sie haben uns überfallen«, flüsterte er. Jedes Wort schien ihm Qualen zu bereiten. »Wir waren zu viert, meine Gefährtin, unsere beiden Kinder und ich. Nur mir gelang die Flucht.« Er schrie: »Ich habe sie im Stich gelassen! Und deshalb werde ich wieder den Kampf suchen, bis…«
»Bis auch du tot bist!« Mythor winkte mit der freien Hand ab und zog Ilfas Schwert aus der Lederscheide. »Ich will nichts mehr davon hören. Ihr habt mitbekommen, was wir zu tun haben.«
Er bezweifelte insgeheim immer noch, daß sich die Spinnenfäden mit einer Klinge durchtrennen ließen. Auf der anderen Seite der Spalte schmetterte Roar seinen Hammer gegen die Stränge, zerquetschte sie einen nach dem anderen an der Wand. Cobor klammerte sich an ihm fest, als sie um eine halbe Körperlänge fielen.
Mythor brauchte etwas länger bis zum ersten Erfolg. Er versuchte, es dem Kruuk mit Ilfas Schwert gleichzutun und nahm in Kauf, daß die Klinge dabei zerbrach. Sie war besser gearbeitet, als er geglaubt hatte. Nur einige kleine Splitter brachen aus dem Metall. Ein gnädiges Schicksal schien Mythors Hand zu führen, denn nun war das Schwert wie eine Säge – und durchschnitt die Fäden fast mühelos.
»Es sind bei uns nur noch zwei!« rief er zu Roar hinüber. »Wir lassen uns als erste fallen!«
Die abgetrennten Stränge hatten sich mit ihren Enden schon unter ihm an die Wand geheftet. Mythor holte zum letztenmal tief Luft. Alles hing nun davon ab, daß sie sein und Ilfas Gewicht trugen.
Er sägte die beiden Fäden durch und verlor augenblicklich den Halt. Für zwei Herzschläge glaubte er, ein zu riskantes Spiel getrieben zu haben. Dann riß ihm der Ruck fast die Arme aus den Schultergelenken. Sein Fall wurde aufgefangen. Er baumelte mit Ilfa vor der Wand, suchte mit den Füßen verzweifelt nach einem Halt und fand ihn.
Sie standen auf der Leiste. Mythor überzeugte sich davon, daß sie tatsächlich breit genug war, und durchtrennte auch die letzten Fäden.
Was nun geschah, erlebte er wie in einem Traum. Roar folgte seinem Beispiel, ließ sich mit Cobor fallen, stieß sich aber im letzten Moment so heftig von der gegenüberliegenden Wand ab, daß er neben Mythor auf der Leiste landete. Cobor rutschte ab. Mythor packte mit an und zog ihn mit dem Kruuk zu sich herauf.
»Puh!« machte er, spürte wieder das bleierne Gefühl in seinen Gliedern und zwang sich trotz des Kadavergestanks zum Atmen. »Roar, wir stecken immer noch in den Resten des Netzes. Ich säge sie zuerst dir und Cobor vom Leib, dann nimmst du das Schwert und tust das gleiche an uns. Verstanden?«
Der Kruuk grunzte.
Es dauerte lange, bis sie endlich
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