Wald der Masken
Gegner vor sich sah, hob auch sein markerschütterndes Gebrüll wieder an.
»Ich warne dich nur einmal, Cobor!« schrie Mythor in den Lärm. »Noch einmal kommst du nicht so leicht davon wie vorhin.«
»Hat er deine Frau und deine Kinder zerschmettert oder meine?«
»Wenn es noch mehr als einen von seiner Art geben soll, muß nicht er es gewesen sein.« Mythor hielt den Baummenschen mit der Klinge zurück, als er an ihm vorbeistürmen wollte. »Geh und kümmere dich um Ilfa, wenn du dir nicht auch wegen ihr noch Vorwürfe machen willst. Verschwinde!«
Cobor rührte sich nicht von der Stelle. Mythor hatte auf zwei Gegner zu achten. Insgeheim fühlte er Mitleid mit Cobor, doch dafür war jetzt keine Zeit. Er behinderte ihn nur.
»Da!« rief Ilfa. Roar hatte sie inzwischen zwei Körperlängen hoch getragen. »Er kommt durch die Schwefeldämpfe!«
Mythor war bereit, wenn er auch nicht ganz wußte, wozu. Den Marmornen verwirren? Hier war es zu eng. Versuchen, ihn zu Fall zu bringen, um sich und den anderen einige Atemzüge Vorsprung zu verschaffen?
Noch während er mit gespannten Muskeln dastand und verzweifelt nach einem Ausweg suchte, geschah das Unerwartete.
Der Marmorne blieb mitten in der Zone der Schwefeldämpfe stehen und krümmte sich. Sein Gebrüll wurde zu einem qualvollen Stöhnen. Die steinernen Arme griffen an seinen Hals. Dann gaben die Beine nach. Der Marmorne sank in die Knie, kippte vornüber und schlug hart mit dem Kopf auf.
»Aber das ist…!« Cobor fand keine Worte. Für einen Moment war er ebenso überrascht wie Mythor. Dann schrie er: »Die Dämpfe sind für ihn genauso giftig wie für uns! Sie schwächen ihn! Er stirbt!«
Er wollte losrennen, um sich auf den Riesen zu stürzen. Mythor erahnte seine Bewegung und stellte ihm schnell ein Bein. Cobor fiel hin und blieb besinnungslos liegen.
Mythor achtete nicht weiter auf ihn. Ohne sich dessen bewußt zu sein, machte er vorsichtig einige Schritte auf den Marmornen zu, der sich zwischen den Schwefelfähnchen wälzte und den Mund weit aufriß. Er drehte Mythor dabei das Gesicht zu, und der Blick seiner Augen jagte dem Mann ohne Erinnerung einen eiskalten Schauder über den Rücken.
Konnte ein solches Geschöpf aus Stein und Magie Schmerzen empfinden oder Leid? Hatte er, der Unüberwindliche, plötzlich Angst vor dem Tod?
Es zog Mythor wie durch Zauberei weiter auf ihn zu. Nur noch drei, vier Schritte trennten ihn von der gefährlichen Zone und den auf einmal wie flehend ausgestreckten Händen des Unheimlichen.
Eine Kreatur, nicht geboren aus dem Leib einer Mutter, aber sie litt!
Mythor glaubte zu spüren, wie die Giftdämpfe die Haut und die Lungen des Steinernen langsam zerfraßen. Es war ihm, als kämpfte er selbst verzweifelt gegen den Tod.
Was er dann tat, verstand er nicht.
Er warf das Schwert und den Stein fort, holte tief Luft und drang in die Todeszone ein. Mit beiden Händen packte er einen Arm des Marmornen, der sich jetzt nicht mehr zu rühren vermochte.
»Bei allen Göttern!« schrie Ilfa von oben. »Komm zurück, Mythor! Er wollte uns töten! Laß ihn sterben! Sobald er aus den Dämpfen heraus ist, bringt er dich und uns alle um!«
Mythor hörte es kaum. Er biß die Zähne zusammen, widerstand dem Drang, nach Luft zu schnappen, und zerrte den Reglosen Fuß für Fuß mit sich. Zweimal mußte er sich mit einem Sprung in Sicherheit bringen, um Atem zu holen. Zweimal beugte er sich wieder über den Marmornen und zog, bis er dachte, das Rückgrat müßte ihm brechen.
Dann lag der Riese vor ihm und atmete. Die mächtige Tonnenbrust hob und senkte sich.
Mythor blieb außerhalb der gewaltigen Pranken stehen. Der Marmorne drehte den Kopf und sah ihn an. Seine Lippen bebten. Er schloß den Mund, und als er ihn wieder öffnete, riß Mythor sich unwillkürlich die Hände an die Ohren.
Doch kein Gebrüll löste sich aus dem Rachen des Marmornen. Der aus Stein Erschaffene richtete sich halb auf, sah Mythor verständnislos an und fragte so zaghaft wie ein verschrecktes Kind:
»Freund?«
4.
Eine einzige Geste des guten Willens, dachte Mythor, eine versöhnliche Tat auch dem ärgsten Feind gegenüber vermag oft mehr zu bewirken als eine ganze Armee!
Sie hatten den Gebirgskamm im Morgengrauen erreicht und für drei Stunden gerastet. Sie – das waren Mythor, Ilfa, Roar, Cobor mit seinen restlichen sechs Baummenschen und der Marmorne. Selbst jetzt noch, als sie wieder marschierten, vermochte Mythor weder zu sagen, was ihn nun wirklich
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