Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wald-Schrat

Titel: Wald-Schrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
einen gewaltigen Vorsprung verschafft.
    Neben ihr lief Imbri. »Ich bin sicher, als Erwachsener ist er nicht mehr so kindisch. Mittlerweile zeigt er schon deutliche Anzeichen zentaurischen Verantwortungsbewusstseins.«
    »Aber die Flügel! Er hat keine Flügel.«
    »Dennoch glaube ich, dass er es ist. Vielleicht können wir es mit dem Liebes-Horn bestätigen.«
    Katrin nickte. Ohne ihren Lauf zu stoppen, hob sie das Horn an die Lippen und blies hinein. Forrest hörte nichts, doch Katrin nickte knapp noch einmal. »Das Echo stammt von ihm.«
    »Das Horn muss es wissen«, sagte Imbri.
    »Das nehme ich auch an«, entgegnete Katrin, ohne im Geringsten erfreut zu wirken.
    Die Drachen folgten wieder den Fluchtgeräuschen. Nun aber musste Katrin ihren Isoliermantel einziehen, denn sie konnte ihn nicht auf weite Entfernung aufrechterhalten, und so kamen auch die Harpyien frei. Letztere waren außerordentlich zornig. »Wartet nur, bis wir euch erwischen!«, schrie die Anführerin unflätig. »Euch reißen wir in bibbernde stinkende Fetzen!«
    Das hörte ein Drache, der niedergegangen war, um die Flüchtigen zu orten. Er brüllte laut, denn er dachte, die Harpyie hätte ihn angeschrieen. Schon bald schossen weitere Drachen herab, um ihre Ehre wiederherzustellen. Selbst unter günstigsten Umständen vertragen sich Drachen und Harpyien nicht, und die Drachen waren im Moment gar nicht in Stimmung, sich beleidigen zu lassen. Deshalb spuckten sie zuerst Feuer und hoben sich alle Fragen für später auf. Die Harpyien indes neigten überhaupt nicht dazu, sich diese Störung gefallen zu lassen, denn schließlich betrachteten sie sich als Herrinnen dieses Waldes.
    Forrest und die anderen rannten weiter, ohne die entbrennende Schlacht eines Blickes zu würdigen. Das Brüllen und Kreischen hinter ihnen deutete jedoch auf ein Gemetzel hin, an das sich der Wald noch lange erinnern würde.
    An der Stelle, wo sie aus den Bäumen hervorkamen, war Kontra rund zwanzig Jahre alt und übernahm ungefragt die Führung. Katrin, die hier eine Zwölfjährige war, schloss sich ihm kommentarlos an. Ihre Flügel waren gewachsen, und sie benutzte sie, um ihre Geschwindigkeit zu steigern. Dann folgten Forrest und Imbri. Sie rannten nun schon einige Zeit, doch Forrest fühlte sich nicht erschöpft; offenbar ermüdeten Seelenkörper nicht so schnell wie ihre stofflichen Gegenstücke. Obwohl die Zentauren keinen vollen Galopp rennen konnten, womit sie die beiden menschlicheren Kreaturen hoffnungslos abgehängt hätten, ließ sich dennoch ein rasantes Fluchttempo beibehalten.
    Kontra legte einen Spurt ein, bis er an eine Linie kam, die mit ›30‹ beschriftet war. Er trat hinüber und blieb stehen. Nun war er ein gutaussehender, erwachsener Zentaur, muskulös und stattlich. »Das ist die Markierung«, sagte er. »Ich habe sie überschritten. Nun muss ich fliehen, bevor ich in die Falle gehe.« Er drehte sich um, als die anderen ihn erreichten.
    Katrin verharrte. Allen war klar, dass sie in zweierlei Hinsicht an einem Wendepunkt standen. Wenn der Hengst an ihr vorbeilief und in seine Kindheit entkam, würde sie ihn nie Wiedersehen. Aber wie sollte sie ihn aufhalten?
    Als Kontra einen Schritt zurücktrat, bemerkte Forrest, dass der Zentaur die Augen fest zugekniffen hatte: Er weigerte sich, die junge Stute anzusehen. So also versuchte er der drohenden Begegnung auszuweichen! Wenn er sie nie als junge Erwachsene gesehen hatte, konnte er nicht von ihr beeindruckt sein.
    »Sieh mich an«, weinte Katrin. »So viel schuldest du mir doch wohl!«
    »Nein, ganz bestimmt nicht«, widersprach Kontra. »Ich bin einen Handel eingegangen, der mich zwingt, mein dreißigstes Jahr zu überschreiten, das ist alles.« Er tat einen weiteren Schritt.
    »Was kann ich denn nur tun?«, fragte Katrin, die drohende Niederlage vor Augen.
    »Küss ihn«, riet Imbri lakonisch.
    Katrin lächelte. »Ich will ihn warnen.« Dann rief sie dem Hengst zu: »Wenn du deine Augen nicht öffnest und mich anblickst, dann fange ich dich ab und küsse dich.«
    Kontra trat noch einen Schritt vor. Katrin machte zwei Schritte. Weil sie die Augen geöffnet hatte, konnte sie weitaus zielsicherer laufen als er mit seinen geschlossenen. Der Hengst hörte ihr absichtlich lautes Hufgetrappel. Sein scharfes Zentaurengehör verarbeitete die Information, und er begriff, dass er einen Kompromiss eingehen musste. »Also gut. Einen Blick aber nur. Dann bin ich weg, und du kannst mich nicht mehr

Weitere Kostenlose Bücher