Wald
dass es gefährlich ist, alleine hier umherzuziehen?«
»Allein, mein Herr?«
Der Alte sieht für einen kurzen Moment erschrocken auf. Viele kleine Lehmbrocken bröseln um seinen Mund herum ab, als er seine Stimme erhebt.
»Ich bin nicht allein!«
»So?«, erwidert Sidus. »Nennt Ihr etwa die Bäume Eure Freunde?«
»Was für Bäume?«, krächzt der Alte mit einer Stimme, die von einer Silbe zur Nächsten zwischen hell klirrend und keuchend tief die Tonlage ändert.
»Viel Verstand scheint ihm die Einsamkeit wohl nicht gelassen zu haben«, bemerkt Sidus feierlich.
Envin zeichnet wie unter Wahn. Der Alte springt unerwartet fort von seinem hölzernen Gefährten, aber nicht weit. In ein wenige Meter entfernt liegendes Erdloch lässt er sich hineinfallen und beginnt mit beiden Händen im Boden zu graben. Sidus’ amüsierter Blick folgt jeder seiner Bewegungen.
»Verzeihung, Herr Gärtner. Ich möchte Euch wirklich nicht noch länger bei Eurer Arbeit stören, aber ---«
»Hihhihii --- grummf ---«
Wurzeln verschwinden im Mund des Alten.
»Ich und mein Bruder, wir suchen den Pfad, der zur Höhle des Drachens führt. Ihr habt nicht zufällig etwas davon gehört?«
»Gnnam.«
Der Alte gräbt weiter, während er antwortet, »mein Herr, schon viele tapfere und edle Männer haben diesen Pfad zuvor beschritten.«
»So«, sagt Sidus, der nun über ihm steht.
»Und die haben gesucht, was sie nicht gefunden haben --- gnnm --- hbb --- und haben gefunden, was sie nie gesucht haben --- ehechehii ---«
Diesmal ist es Sidus, der in das Gelächter des Alten einstimmt und dabei den Kopf schüttelt.
»Lasst mich raten. Statt den Drachen zu finden, fanden sie einen armen, alten Irren, der im Boden nach Essen wühlt!«
Frische, nasse Erde quillt dem Alten aus dem Mund.
»Was machst Du denn schon wieder Envin! Hast Du dich in den alten Mann verliebt, dass Du ihn zeichnest?«
Envin sieht nicht zu ihm auf.
»Wir können ihn ja fragen, ob er uns in seinem Kaninchenbau übernachten lässt!«
»Einen Kaninchenbau habe ich nicht zu bieten --- mmppf --- aber wenn Ihr wollt, dann könnt Ihr edle Herren gerne in meinem Schloss die Nacht verbringen.«
»Oh Bruder, hast Du das gehört, ein Schloss! Wie herrlich!« Sidus gibt sich nicht viel Mühe, um seine Worte ironisch klingen zu lassen. »Nach all den Tagen der Entbehrung, was meinst Du, sollen wir die Einladung annehmen?«
Envin weiß nicht, was er antworten soll, also schweigt er.
»Nun --- gut, dann führe uns zu Deinem --- Palast, alter Mann. Es wird bald dunkel und ich platze gleich vor Neugier, wieviel Pracht und Komfort Euer Domizil zu bieten haben wird.«
Der Alte hüpft in die Luft und setzt sich in Bewegung.
»Einen Moment noch!«, ruft Sidus.
»Zuerst müssen wir noch unsere Satteltaschen einsammeln, die wir in der Nähe haben liegen lassen.«
Nach einigem Hin und Her schaffen die beiden Drachenjäger es schließlich, ihr Gepäck aufzulesen und dem alten Mann in die Richtung, die er vorgibt, zu folgen. Envin bleibt stets ein paar Meter hinter den beiden. Irgendetwas in der Stimme des Alten oder vielleicht auch in seiner Art sich zu bewegen erinnert ihn an etwas, wenn er nur wüsste, an was. Ob es helfen würde, wenn er sein Gesicht richtig sehen könnte und nicht nur die Matschkruste? Mühsam versucht Envin, seine Ängste zu vertreiben, als die Nacht langsam hereinbricht und sie einen kargen Hügel emporsteigen.
»Der kleine Fürst«
Der Bewohner von Svetopluks Beinkleidern wird von den Gespielinnen seines Herrn meist der kleine Fürst genannt. Von einer wurde er nur als das Ding bezeichnet (Svetopluks verstorbene Ehefrau), eine andere nannte ihn Wachturm und die Nächste hielt ihn sogar für eine Mohrrübe. Dem Bewohner von Svetopluks Beinkleidern ist das egal. Viel unangenehmer ist es für ihn, dass sein Herr seit bald zwei Wochen in Depressionen, Selbstmitleid und Lethargie versunken ist und sich seither kaum noch um seine Bedürfnisse kümmert. Ein Lichtblick am Horizont ist eine Neuigkeit, die er in des Herrn Gehirn heute Mittag hatte abfangen können. Der Fürst hat Llyle zu einem privaten Abendessen in seine Gemächer laden lassen. Das hat ihm ein paar Stunden Auftrieb und Vorfreude verschafft. Wie Herakles hatte er sich gefühlt. Dann verstrich Stunde um Stunde. Jetzt baumelt er schlaff zwischen den Beinen hin und her, während der Druck in der Samenproduktion dennoch stetig steigt. Lange hält er es nicht mehr aus. Er ist angespannt wie ein
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