Walden Ein Leben mit der Natur
sitzt oder steht.
Und greift man das Reptil bei dem einen Loch seiner Höhle an, schaut es beim anderen heraus. Wer rein sein will, muß
enthaltsam sein. Was ist Reinheit? Wie kann ein Mensch
wissen, ob er rein ist? Er kann es nicht wissen. Wir haben von dieser Tugend gehört, aber wir wissen nicht, was sie ist. Wir kennen sie nur vom Hörensagen. Ständiges Bemühen führt zu Weisheit und Reinheit, Trägheit zu Unwissenheit und
Sinnlichkeit. Für den Lernenden ist Sinnlichkeit
gleichbedeutend mit Geistesträgheit. Ein unreiner Mensch ist gewöhnlich faul, er sitzt gern beim Ofen, schläft bei hellichtem Tage, ruht, ohne müde zu sein. Will man Unreinheit und alle Laster vermeiden, dann muß man ehrlich arbeiten, und sei es, daß man Ställe reinigt. Die Natur ist schwer zu überwinden, aber sie muß überwunden werden. Was nützt es, daß ihr euch Christen nennt, wenn ihr nicht reiner seid als die Heiden, wenn ihr nicht tiefer entsagt, wenn ihr nicht frommer seid? Ich kenne eine Menge als heidnisch bezeichnete Glaubenslehren, deren Gebote den Leser beschämen und zu neuem Ringen
anspornen würden, und sei es auch nur in der Befolgung der kirchlichen Bräuche.
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Ich sage das alles nur ungern, doch nicht des Themas wegen -
ich kehre mich nicht daran, wie gewagt meine Worte sind -, sondern, weil ich nicht darüber sprechen kann, ohne meine eigene Unreinheit zu enthüllen. Wir sprechen offen und ohne Scham über eine Form der Sinnlichkeit, während wir über eine andere schweigen. Wir sind so tief gesunken, daß wir nicht mehr unbefangen über die notwendigen Körperfunktionen des Menschen reden können. In früheren Zeiten wurde bei
manchen Völkern jede einzeln in aller Öffentlichkeit ehrerbietig besprochen und gesetzlich geregelt. Dem Hindu-Gesetzgeber war nichts zu niedrig und zu trivial, wie sehr es auch gegen unseren heutigen Geschmack verstieße. Er lehrt, wie man essen, trinken, beischlafen und sich der Exkremente und des Urins entledigen soll. Er erhöht das Niedrige, indem er nicht fälschlich darüber hinweggeht und es als Lappalie bezeichnet.
Jeder Mensch ist der Erbauer eines Tempels - seines Leibes -
für den Gott, zu dem er betet in seiner innigsten Art. Er kann sich dem nicht entziehen, indem er statt dessen Marmor
behaut. Wir sind alle Bildhauer und Maler, und unser Material ist unser eigenes Fleisch und Blut. Jede edle Gesinnung verfeinert sofort auch die Züge eines Menschen, Gemeinheit und Sinnlichkeit vergröbern sie.
Eines schönen
Septemberabends saß John Farmer vor seiner Tür. Er hatte einen harten Arbeitstag hinter sich und war im Geist noch immer mehr oder weniger bei seiner Arbeit. Er hatte gebadet und sich hingesetzt, um sich geistig zu erholen. Der Abend war kühl, und ein paar seiner Nachbarn hatten Frost vorausgesagt.
Er hing noch nicht lange seinen Gedanken nach, da hörte er jemanden Flöte spielen. Die Weise harmonierte mit seiner Stimmung. Noch immer dachte er an seine Arbeit, doch seine Gedanken waren bedrückt. Er fühlte, daß alle jene Pläne, die er noch gegen seinen Willen im Geiste entwarf und durchdachte, ihn im Grunde sehr wenig angingen. Sie waren so unbedeutend wie seine oberste Hautschicht, die sich dauernd abschuppte.
Doch die Töne der Flöte, die sein Ohr vernahm, kamen aus einer anderen Sphäre als jener, mit der er beschäftigt war; sie erweckten gewisse Fähigkeiten zum Leben, die in ihm
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geschlummert hatten. Sachte schoben sie die Straße fort, das Dorf und den Staat, in dem er lebte. Da hörte er eine Stimme sagen: Warum bleibst du hier und führst dieses niedrige, mühselige Leben, wo doch ein herrliches Dasein für dich möglich wäre? Die gleichen Sterne leuchten auch über anderen Feldern als diesen. - Wie aber sollte er aus diesem Leben zu jenem anderen gelangen? Alle seine Gedanken gipfelten darin, eine neue, strenge Einfachheit zu üben, seinen Körper mit seinem Geist zu durchdringen, um ihn zu erlösen, und sich um eine stetig wachsende Selbstachtung zu bemühen.
XII.
Tiernachbarn
Manchmal hatte ich beim Fischen einen Gefährten. Er wohnte jenseits des Ortes und kam durch das Dorf zu mir. Dann wurde das Fangen der Mahlzeit zu einem gesellschaftlichen Ereignis, genau wie das Mahl selbst.
Einsiedler: Was wohl jetzt draußen in der Welt vorgeht? Ich habe seit drei Stunden nichts mehr gehört, nicht einmal die Zikade jenseits der Amberstauden. Die Tauben schlafen alle auf ihren Zweigen, kein Flügelschlag ist zu
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