Walden Ein Leben mit der Natur
sie auch jetzt noch nachts heulen. Nach der
Feldarbeit hielt ich gewöhnlich im Schatten ein bis zwei Stunden Mittagsrast. Ich aß mein Mittagbrot und las ein wenig an der Quelle, die, eine halbe Meile von meinem Feld entfernt, am Fuß des Brister-Hügels entspringt, ein Moor durchtränkt und einen Bach speist. Der Weg dahin führt über einige
abschüssige Wiesenhänge, auf denen junge Pechkiefern
wachsen, in einem größeren Wald, nahe dem Moor. Dort gab es unter dem Dach einer großen Weißfichte ein abgelegenes schattiges Plätzchen, eine saubere feste Rasenbank, auf der man sitzen konnte. Ich hatte die Quelle ausgegraben und zu
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einem Becken erweitert, in dessen klares graues Wasser ich meinen Eimer tauchen konnte, ohne es zu trüben. Ich ging im Hochsommer, wenn der See am wärmsten war, fast täglich
dorthin. Auch die Waldschnepfe führte ihre Jungen hin, um im Schlamm nach Würmern zu suchen. Sie flog nur einen Fuß
hoch über den Jungen den Hang hinunter, während die kleine Schar unter ihr herlief. Erblickte sie mich, dann verließ sie die Jungen und flog in immer engeren Kreisen bis zu einer Nähe von einem Meter um mich herum. Sie tat, als hätte sie sich Flügel und Beine gebrochen, um meine Aufmerksamkeit von den Jungen abzulenken, die indessen, mit feinem,
andauerndem Piepen von ihr gelenkt, im Gänsemarsch durch den Sumpf davonmarschierten. Oft hörte ich auch das Piepen der Jungen, ohne die Alte zu sehen. Auch die Turteltauben hielten sich an der Quelle auf oder flatterten in den zarten Weißfichten über meinem Kopf von Ast zu Ast. Das rote
Eichhörnchen, das bis an die untersten Zweige des Baumes gelaufen kam, war besonders neugierig und zutraulich. Man braucht nur einmal längere Zeit an einer anziehenden Stelle im Wald zu sitzen, und alle seine Bewohner lassen sich der Reihe nach blicken.
Ich war auch Zeuge weniger friedlicher Ereignisse. Als ich eines Tages zu meinem Holzstapel oder vielmehr zu meinem Stapel von Baumstümpfen ging, sah ich zwei große Ameisen wütend miteinander kämpfen. Die eine war rot, die andere -weit größer, fast einen halben Zoll lang - war schwarz. Nachdem sich die beiden einmal zu fassen bekommen hatten, ließen sie nicht mehr voneinander ab. Kämpfend und ringend rollten sie
unablässig auf den Scheiten hin und her. Bei näherein
Hinsehen entdeckte ich zu meiner Überraschung, daß die
Scheite voll solcher Kämpfer waren, daß hier kein duellum sondern ein bellum im Gange war, ein Krieg zwischen zwei Ameisenarten, in dem jeweils die roten gegen die schwarzen, oft aber auch zwei rote gegen eine schwarze vorgingen. Die Legionen dieser Myrmidonen bedeckten alle Hügel und Täler meines Holzplatzes. Der Boden war bereits von Toten und Sterbenden beider Arten, der roten und der schwarzen,
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übersät. Es war die einzige Schlacht, die ich je erlebte, das einzige Schlachtfeld, das ich mitten im Kriegsgetümmel betrat.
Kampf auf Leben und Tod! Die roten Republikaner auf der einen, die schwarzen Imperialisten auf der anderen Seite. Für beide Teile ein mörderisches Ringen, doch ohne jeden
vernehmbaren Laut. Nie haben menschliche Soldaten so
wagemutig gekämpft. In einem kleinen sonnigen Tal zwischen den Holzscheiten fiel mir ein Pärchen auf, das fest ineinander verklammert war und jetzt, zu Mittag, entschlossen schien, entweder bis Sonnenuntergang oder bis zum letzten Atemzug zu kämpfen. Der kleinere rote Held saß wie ein Schraubstock an der Brust seines Gegners und ließ auch während der
gemeinsamen Stürze keine Augenblick davon ab, den einen feindlichen Fühler knapp an der Wurzel abzunagen, nachdem er den anderen bereits auf diese Weise erledigt hatte. Der stärkere Schwarze warf seinen Gegner von einer Seite zur anderen und hatte ihn, wie ich bei näherem Hinsehen
entdeckte, schon einiger seiner Gliedmaßen beraubt. Sie kämpften mit größerer Hartnäckigkeit als Bulldoggen, keiner von ihnen ließ die geringste Neigung zur Flucht erkennen.
Offenbar lautete ihr Wahlspruch: Sieg oder Tod! Mittlerweile tauchte, sichtlich in großer Erregung, ein einzelner roter Krieger am Talhang auf, der entweder seinen Gegner bereits erledigt oder am Kampf noch nicht teilgenommen hatte. Wahrscheinlich eher letzteres, denn er hatte noch keine seiner Gliedmaßen eingebüßt. Seine Mutter schien ihm eingeschärft zu haben, entweder mit oder auf seinem Schilde heimzukehren, vielleicht aber war er auch ein Achilles, der abseits seinen Groll genährt
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