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Walden Ein Leben mit der Natur

Walden Ein Leben mit der Natur

Titel: Walden Ein Leben mit der Natur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry David Thoreau
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ausgegraben und gegessen hatte, wie ich behauptete, oder ob ich nur davon geträumt hatte. Ich habe ihre gekräuselten rötlichen Samtblüten oll unter den Stengeln anderer Pflanzen gefunden, ohne zu ahnen, daß sie der Erdmandel gehörten. Der Ackerbau hat sie
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    fast ausgerottet. Ihre Knollen haben einen süßlichen
    Geschmack, ähnlich dem erfrorener Kartoffeln, und sie
    schmeckten mir gekocht besser als gebraten. Diese Knolle erschien mir wie ein leises Versprechen der Natur, dereinst ihre eigenen Kinder großzuziehen und sie hier in ferner Zukunft mit einfacher Kost zu nähren. In unserer Zeit des Mastviehs und der wogenden Kornfelder ist diese bescheidene Frucht, die einst das Totem eines Indianerstammes war, ganz in Vergessenheit geraten oder höchstens noch durch ihre
    blühenden Ranken bekannt. Doch sollte die wilde Natur hier wieder ihre Herrschaft antreten, dann wird das empfindliche, luxuriöse englische Korn vielleicht vor der Unzahl seiner Feinde schwinden und, von den Menschen unbeachtet, die Krähe das letzte Saatkorn zu dem großen Felde des Indianergottes im Südweilen zurücktragen, von wo sie es gebracht haben soll.
    Die jetzt fast ausgerottete Erdmandel aber wird sich vielleicht trotz Frost und Wildnis als Eingeborene bewähren, zu neuem Leben erwachen und ihre alte Bedeutung als Kost eines Jäger Volkes wiedergewinnen. Ihre Schöpferin und Spenderin muß eine indianische Ceres oder Minerva gewesen sein; und wenn die Poesie eines Tages hier regiert, mögen ihre Blätter und Ranken unsere Kunstwerke zieren.
    Schon um den ersten September hatte ich drüben über dem See zwei oder drei kleine, scharlachverfärbte Ahornbäume gesehen. Sie standen ganz nahe am Wasser, an der Spitze eines in den See hinausragenden Hangs, unter den weißen Stämmen dreier auseinanderstrebender Espen. Wie lebhaft erzählten ihre Farben! Von Woche zu Woche nahm jeder Baum immer mehr seinen eigenen Charakter an und bewunderte sein Spiegelbild in der glatten Wasserfläche. Und Morgen für Morgen ersetzte der Herr dieser Galerie das alte Bild durch ein neues von noch prächtigerer Farbenharmonie.
    Zu Tausenden kamen im Oktober die Wespen in meine Hütte, als suchten sie ein Quartier für den Winter. Sie ließen sich innen an den Fenstern und oben an meinen Wänden nieder
    und schreckten damit so manchen Besucher ab. Morgens,
    wenn sie von Kälte wie gelähmt waren, fegte ich immer eine
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    Menge von ihnen hinaus, aber ich gab mir keine besondere Mühe, sie loszuwerden. Ich fühlte mich sogar geschmeichelt, daß sie mein Haus als ein geeignetes Obdach betrachteten; sie belästigten mich auch nicht ernstlich, obwohl sie mit mir zu Bett gingen. Allmählich verschwanden sie in mir unbekannten
    Spalten und Ritzen, um dem Winter und der unsagbaren Kälte zu entgehen.
    Ehe ich im November endgültig mein Winterquartier bezog, suchte ich wie die Wespen meistens an der Nordostseite des Waldensees Zuflucht, wo die Sonne, von den Pechkiefern und dem steinigen Ufer reflektiert, am wärmsten schien. Es ist weitaus angenehmer und gesünder, sich, wenn man die
    Möglichkeit dazu hat, an der Sonne zu wärmen als an einem künstlichen Feuer. Und so wärmte ich mich an der noch immer wohligen Glut, die der Sommer gleich einem scheidenden
    Jäger hinterließ.
    Alls ich daranging, meinen Kamin zu bauen, machte ich mit dem Maurerhandwerk Bekanntschaft. Die gebrauchten Ziegel die ich verwendete, mußten zuerst mit der Kelle gereinigt werden, und dabei lernte ich die Qualität der Ziegel und Kellen besser kennen, als das gewöhnlich der Fall ist. Der Mörtel an ihnen war fünfzig Jahre alt und sollte angeblich immer härter werden. Doch war das eine jener Behauptungen, die Menschen einander nachplappern, ob sie nun auf Wahrheit beruhen oder nicht. Derlei Behauptungen werden selbst um so härter und haftkräftiger, je älter sie sind, und es bedürfte viele Schläge mit der Kelle, um einen alten Narren von ihnen zu befreien. Viele Dörfer Mesopotamiens sind aus gebrauchten Ziegeln sehr guter Qualität gebaut, die von den Ruinen Babylons stammen, und der Zement an ihnen ist womöglich noch älter und härter. Doch wie sich das auch verhalten mag - ich war überrascht von der außergewöhnlichen Widerstandskraft des Stahls, der so viele Schläge ertrug, ohne abzunutzen. Da meine Ziegel von einem alten Schornstein stammten (der Name Nebukadnezar stand allerdings nicht auf ihnen vermerkt), suchte ich mir davon, um Arbeit zu sparen,

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