Walden Ein Leben mit der Natur
bis zur Aufgabe meiner eigenen Denkfähigkeit geschehe.
Allerdings, es gibt sogenannte Architekten in unserem Land. Ich habe wenigstens von einem gehört, der von der Idee besessen war, dem architektonischen Ornament einen inneren Gehalt von Wahrheit, Berechtigung und daher auch von Schönheit zu verleihen - als sei das eine Offenbarung! Von seinem
Standpunkt mag das ja schön und gut sein, jedoch ist es nur wenig besser als der allgemeine Dilettantismus. Dieser
sentimentale Reformer begann oben am Gesims und nicht
beim Fundament. Ihm war nur darum zu tun, in die Ornamente einen echten Kern zu legen - daß jedes Zuckerplätzchen auch tatsächlich eine Mandel oder einen Aniskern enthalte (wobei ich der Meinung bin, daß Mandeln ohne Zucker am
bekömmlichsten sind) - und nicht darum, daß die Bewohner von
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innen und außen richtig bauten und die Ornamente sich selbst überließen. Welcher vernünftige Mensch hat denn je
angenommen, daß das Ornament, der Schmuck, etwas rein
äußerliches, der bloßen Haut angehöriges sei? Daß die
Schildkröte zu ihrem scheckigen Panzer und die Muschel zu ihrem Perlmutterglanz durch eine ähnliche Abmachung
gekommen seien wie die Bewohner am Broadway zu ihrer
Dreifaltigkeitskirche? Doch der Mensch hat mit der Architektur seines Hauses ebensowenig zu tun wie die Schildkröte mit der ihres Panzers; auch braucht der Soldat nicht sinnlos zu versuchen, die genauen Farben seiner Tapferkeit auf die Standarte zu setzen. Der Feind wird sie ergründen. Mag er erblassen, wenn es zur Begegnung kommt. Dieser Architekt schien mir, über das Gesims gelehnt, seine Halbwahrheiten den einfachen Bewohnern schüchtern zuzuflüstern, die es eigentlich selber besser wußten. Was ich an architektonischer Schönheit kenne, hat sich, soviel ich weiß, allmählich von innen nach außen entwickelt, ist aus den Bedürfnissen und der Wesensart seiner Bewohner, der eigentlichen Erbauer,
entstanden; aus einer unbewußten Wahrhaftigkeit und
Vornehmheit, die keine Gedanken auf ihre Wirkung
verschwendet. Und auch in Zukunft wird jeder Schönheit
solcher Art eine ähnliche unbewußte Schönheit des Lebens vorausgehen. Die reizvollsten Wohnstätten in diesem Land sind für gewöhnlich, wie der Maler weiß, die anspruchslosen
schlichten Blockhütten und Katen der Armen; was sie so
malerisch macht, ist das Leben ihrer Bewohner, dessen Schale sie sind, und nicht bloß die Besonderheiten ihrer Oberfläche.
Das Vorstadthäuschen eines Städters wäre genauso reizvoll, wenn sein Leben so einfach und so angenehm wirkte und der Stil seiner Wohnstatt ebensowenig nach Effekten haschte. Ein großer Teil der architektonischen Ornamente ist buchstäblich hohl. Ein Septembersturm würde sie davonfegen wie geborgte Federn, ohne das Wesentliche anzugreifen. Wer weder Oliven noch Wein im Keller hat, kann sich freilich ohne Architektur behelfen. Wie, wenn ein ähnliches Aufhebens von den
stilistischen Ornamenten in der Literatur gemacht würde, wenn die Architekten unserer Bibeln so viel Zeit mit ihren Schnörkeln
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verbrächten wie die Architekten unserer Kirchen? So macht man die belles-lettres und die beaux-arts und ihre Professoren.
Was kommt es einem Menschen darauf an, wie die paar Balken über und unter ihm verlegt sind? Es hätte einige Bedeutung, wenn er sie selbst sinnvoll verlegen und bemalen würde. Da aber der Geist aus dem Bewohner gewichen ist, so ist die Herstellung seines Hauses gleichbedeutend mit der seines Sarges - eine Grabarchitektur, und »Zimmermann« ist nur ein anderes Wort für »Sargtischler«. Ein Mensch sagt in seiner Verzweiflung oder in Gleichgültigkeit gegen das Leben: »Nimm eine Handvoll von der Erde zu deinen Füßen und bemale dein Haus in dieser Farbe!« Dachte er dabei an sein letztes, schmales Haus? Ebensogut ließe sich eine Münze werfen. Was für einen Überfluß an Muße muß dieser Mensch haben! Wozu eine Handvoll Dreck aufheben? Bemale dein Haus lieber in der eigenen Hautfarbe, und lasse es für dich erblassen und erröten.
Das wäre ein Schritt zur Verbesserung des architektonischen Stils unserer Wohnhäuser! Wenn ihr mit meinen Ornamenten soweit seid, will ich sie gern verwenden!
Bevor der Winter kam, baute ich einen Kamin und bedeckte die Wände meines Hauses, das bereits regendicht war, mit noch grünen Schindeln aus Balkenabfällen, deren scharfe Ränder ich mit dem Hobel glätten mußte.
Ich hatte nun ein dichtgeschindeltes, innen verputztes Haus,
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