Walden Ein Leben mit der Natur
etwa«, höre ich einen rufen, »daß der Student mit den Händen anstatt mit dem Kopf arbeiten soll?« Nein, das meine ich gerade nicht, aber doch etwas, das ihm vielleicht ähnlich vorkommen mag: ich meine, daß er nicht Leben spielen oder es nur studieren soll, indes der Staat ihn bei diesem teuren Spiel unterstützt, sondern es tatsächlich leben - vom Anfang bis zum Ende. Wie sonst kann die Jugend besser lernen zu leben, als indem sie
unmittelbar mit dem Experiment des Lebens beginnt? Mich dünkt, das würde für ihren Geist eine gleichwertige Übung sein wie das Studium der Mathematik. Wenn ich den Wunsch hätte, daß ein junger Mensch etwas von Kunst und Wissenschaft
verstehen lerne, würde ich nicht den üblichen Weg gehen und ihn einfach zu irgendeinem Professor schicken, wo alles gelehrt und geübt wird, nur nicht die Kunst des Lebens; wo er die Welt durch ein Teleskop oder Mikroskop betrachtet, doch nie mit offenen Augen; Chemie studiert und nicht lernt, wie unser Brot entsteht, Mechanik, doch nicht, wie man sein Brot verdient; neue Satelliten des Neptuns entdeckt, doch nicht den Balken im eigenen Auge, oder welches Vagabunden Satellit er selber ist; wo er von Monstern verschlungen wird, die ihn rings
umschwärmen, während er die Monster in einem Tropfen Essig bestaunt. Wer wird am Ende eines Monats wohl mehr
Fortschritte gemacht haben: der Junge, der sich aus dem Erz, das er selbst geschürft und geschmolzen, sein eigenes
Taschenmesser gemacht und nur das gelesen hat, was dazu unbedingt notwendig war, oder derjenige, der unterdessen Vorlesungen über Metallurgie besuchte und von seinem Vater ein teures Feldmesser geschenkt erhielt? Wel cher von beiden wird sich wohl eher in den Finger schneiden? ... Zu meiner Verblüffung erfuhr ich beim Verlassen der Universität, daß ich Navigation studiert hätte! - tja, ein einziger Rundgang durch den Hafen wäre lehrreicher gewesen. Selbst der arme Student wird
-5 0 -
bloß in Nationalökonomie unterrichtet, während sich mit der Ökonomie des Lebens, die gleichbedeutend ist mit Philosophie, auf unseren Hochschulen niemand ernstlich befaßt. Die
Konsequenz ist, daß er, während er die Ökonomen Adam
Smith, Ricardo und Say liest, seinen Vater unwiederbringlich in Schulden stürzt.
So wie mit unseren Hochschulen verhält es sich mit hundert anderen »modernen Errungenschaften«: sie bleiben zum
größten Teil illusorisch. Nicht immer bedeuten sie einen wirklichen Fortschritt. Der Teufel berechnet haargenau die Zinseszinsen seiner ersten Aktie und der zahlreichen daraus folgenden Investitionen. Unsere Erfindungen sind oft nur hübsche Spielereien, die unsere Aufmerksamkeit von ernsteren Dingen ablenken. Sie sind nichts als verbesserte Mittel zu einem nicht verbesserten Ziel. Einem Ziel, das schon immer leicht zu erreichen war; so wie uns die Eisenbahn nach Boston oder New York bringt. Wir haben es eilig, eine telegrafische Verbindung zwischen Maine und Texas herzustellen: aber
Maine und Texas haben sich vielleicht gar nichts Wichtiges mitzuteilen? Sie befinden sich in der fatalen Lage jenes Mannes, der sich darum bemühte, einer vornehmen tauben
Dame vorgestellt zu werden, und der dann, als er vor ihr stand und man ihm das Ende ihres Hörrohrs in die Hand drückte, nicht wußte, was er sagen sollte. Als ob es darauf ankäme, schnell zu reden anstatt vernünftig! Wir bemühen uns, den Atlantik zu untertunneln, um die Alte Welt der Neuen ein paar Wochen näher zu bringen; vielleicht ist aber die erste Nachricht, die an das gespitzte Ohr Amerikas dringt, daß die Prinzessin Adelaide den Husten hat. Schließlich bringt der Mann, dessen Pferd eine Meile pro Minute läuft, nicht unbedingt die
wichtigsten Nachrichten; er ist kein Evangelist und frißt auch keine Heuschrecken und wilden Honig. Ein englisches
Rennpferd hat wahrscheinlich noch nie ein Weizenkorn zur Mühle getragen.
Fragt mich da einer: »Warum legen Sie kein Geld zurück? Sie reisen doch gern; Sie könnten heute den Zug nehmen, nach Fitchburg fahren und sich die Gegend ansehen.« Da weiß ich
-5 1 -
aber besser Bescheid. Ich weiß aus Erfahrung, daß der am schnellsten reist, der zu Fuß geht. Darum sage ich zu ihm:
»Lieber Freund, laß uns einmal versuchen, wer zuerst
hinkommt: Die Entfernung beträgt dreißig Meilen, der Fahrpreis ist neunzig Cent. Das ist fast ein Tagesverdienst. Ich erinnere mich, als für Arbeiten auf eben dieser Straße der Tagelohn noch sechzig Cent betrug. Also
Weitere Kostenlose Bücher