Walden Ein Leben mit der Natur
kultiviert hatten, bauten sie sich für viel Geld schöne Häuser.«
In diesem Vorgehen bezeigten unsere Ahnen wenigstens noch etwas Verstand, indem sie nach dem Grundsatz handelten, die dringendsten Bedürfnisse zuerst zu stillen. Aber werden heute die dringendsten Bedürfnisse gestillt? Wenn ich daran denke, eines unserer vornehmen Domizile zu erwerben, schrecke ich zurück, denn das Land ist menschlich noch nicht kultiviert, und so bleiben wir gezwungen, das geistige Brot noch viel dünner zu schneiden als unsere Vorväter ihr Weizenbrot. Zwar muß man selbst in der primitivsten Zeit nicht auf jeglichen architektonischen Schmuck verzichten, aber unsere Häuser sollen nicht nur in der äußeren Verkleidung mit Schönheit ausgestattet werden, sondern zunächst dort, wo sie mit dem Leben in Berührung kommen, so wie die Schale einer Muschel.
Doch ach! Ich habe einige betreten und weiß, womit sie
ausgestattet sind.
Obwohl wir noch nicht so degeneriert sind, um nicht auch heutzutage in einer Höhle oder einem Wigwam leben zu
können oder Fellkleidung zu tragen, ist es wohl besser, sich der, wenn auch teuer erkauften, Vorteile zu bedienen, die uns der Erfindungsgeist und Fleiß der Menschen anbieten. Hier in der Gegend sind Balken, Schindeln, Mörtel und Ziegel billiger und leichter zu beschaffen als brauchbare Höhlen, ganze
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Baumstämme, Rinde in ausreichender Menge oder auch nur
gut gemischter Lehm und flache Steine. Ich spreche hier mit Sachverstand, denn ich habe mich sowohl theoretisch als auch praktisch damit auseinandergesetzt. Mit ein wenig mehr
Verstand könnten wir diese Materialien so verwenden, daß wir reicher wären, als es die Reichsten jetzt sind, und unsere Zivilisation zu einem wahren Segen gestalten. Der zivilisierte Mensch ist nur ein erfahrener und verständiger Wilder. Doch nun zu meinem eigenen Experiment!
Ende März 1845 lieh ich mir eine Axt, ging in die Wälder am Waldensee und begann in der Nähe der Stelle, wo ich mein Haus bauen wollte, ein paar hochgewachsene junge
Weißfichten zu fällen. Es ist schwierig anzufangen, ohne zu borgen, doch ist es vielleicht noch das großmütigste Verfahren, denn wir geben dadurch unseren Mitmenschen Gelegenheit, Anteil zu nehmen an unserem Beginnen. Der Besitzer der Axt sagte mir, er hüte sie wie seinen Augapfel, als er sie mir überreichte; ich aber gab sie ihm schärfer zurück, als ich sie erhalten hatte. Es war ein lieblicher Hang mit Nadelbäumen, an dem ich arbeitete; ich hatte von hier einen Ausblick über den See und auf eine kleine Waldlichtung, wo Kiefern und
Hickorybäume zu treiben begannen. Das Eis auf dem See war noch nicht geschmolzen, obwohl es bereits einige offene Stellen gab; es war dunkel und mit Wasser durchsetzt.
Während der Zeit, die ich dort arbeitete, fiel noch etwas Schnee; doch meistens, wenn ich auf meinem Heimweg den
Bahndamm erreichte, zog sich der gelbe Sandstreifen
schimmernd durch den blauen Dunst, und die Schienen
glänzten in der Frühlingssonne. Lerche, Lachmöwe und andere Vögel waren bereits zurückgekehrt, um ein neues Jahr mit uns zu beginnen. Es waren schöne Frühlingstage. Der Winter menschlichen Mißvergnügens begann wie die Erde aufzutauen, das erstarrte Leben sich auszudehnen. Eines Tages hatte sich der Stiel meiner Axt gelockert. Ich schnitt einen grünen Hickoryzweig keilförmig zu, trieb ihn mit einem Stein in die Axt und legte das Ganze in ein Wasserloch am Teich, um das Holz zum Aufquellen zu bringen. Da sah ich eine gestreifte Schlange
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ins Wasser gleiten und, solange ich dort stand, über eine Viertelstunde, sichtlich zufrieden auf dem Grunde liegenbleiben.
Vielleicht war sie noch nicht ganz aus ihrer Winterstarre erwacht. Und es schien mir, als ob auch die Menschen aus einem ähnlichen Grunde in ihrem gegenwärtigen, primitiven Zustand verharrten, sich aber eines morgens durch die Macht des Frühlings der Frühlinge geweckt, unvermeidlich zu einem höheren, geistigeren Leben erheben würden. Ich hatte auch früher schon an frostigen Morgen auf meinem Wege Schlangen liegen sehen, die, den Körper zum Teil noch starr und
unbeweglich, auf die Sonne warteten, um sich von ihr auftauen zu lassen. Am ersten April fiel Regen, und das Eis schmolz. Am Morgen war es sehr neblig, und ich hörte eine einsame
Wildgans über den See flattern. Sie schrie, als hätte sie sich verirrt, ein Geist des Nebels.
Also war ich einige Tage damit beschäftigt, Bäume zu fällen und zu
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