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Walden Ein Leben mit der Natur

Walden Ein Leben mit der Natur

Titel: Walden Ein Leben mit der Natur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry David Thoreau
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wirklich ist! Was würde da von ihm übrigbleiben? Die Menschen betrachten die Wahrheit als etwas, das sich in weiter Ferne, an den Grenzen des Weltalls befindet, hinter dem letzten Stern, vor Adam und nach dem letzten Menschen. In der Ewigkeit ist sicherlich Wahres und Erhabenes beschlossen, aber alle diese Zeiten, Orte und Gelegenheiten bestehen hier und jetzt. Gott selbst ist im gegenwärtigen Augenblick verkörpert und wird auch im Verlauf aller Zeiten nicht göttlicher sein. Wir können Erhabenes und Edles nur dann erfassen, wenn wir unablässig von der Wirklichkeit, die uns umgibt, durchdrungen und erfüllt sind. Das Universum paßt sich
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    laufend und umgehend unseren Vorstellungen an. Ob wir nun schnell oder langsam gehen, der Weg ist uns gewiesen.
    Verbringen wir unser Leben, indem wir es begreifen! Weder Dichter noch Künstler hatten je ein so reines und hehres Ziel, daß nicht einer ihrer Nachkommen es schließlich hätte
    erreichen können.
    Wir wollen einmal einen Tag so ausgeglichen wie die Natur verbringen und uns nicht von jeder Nußschale, jedem
    Mückenflügel aus dem Geleise werfen lassen. Wir wollen früh und geschwind aufstehen und ruhig und ohne Hast frühstücken.
    Mag einer kommen, mag er gehen, mögen Glocken läuten, die Kinder schreien, wir sind entschlossen, den Tag richtig zu leben. Warum sollen wir klein beigeben und mit dem Strom schwimmen? Auch durch die gefährliche Stromschnelle und den Wirbel der mittäglichen Untiefen, die man Dinner nennt, wollen wir uns nicht von unserem Vorhaben abbringen lassen.
    Umschiffe diese Gefahr, und du bist gerettet, denn der Rest des Weges verläuft gemächlich. Mit gespannten Nerven, mit
    morgendlicher Frische wollen wir daran vorübersegeln und wie Odysseus, an den Mast gebunden, nach der anderen Seite
    schauen. Pfeift die Lokomotive, dann lassen wir sie pfeifen, bis sie heiser ist. Wenn die Glocke tönt, warum gleich laufen?
    Überlegen wir uns lieber, was für Töne das sind! Wir wollen einmal mit uns selbst ins reine kommen und uns einen Weg bahnen durch den Schlamm der Anschauungen, Vorurteile und Traditionen, der Täuschung und des Scheins, durch all die Ablagerungen, die den Erdball überziehen; durch Paris und London, durch New York, Boston und Concord; durch Kirche und Staat, durch Dichtung, Philosophie und Religion, bis wir auf den harten, felsigen Grund stoßen, den wir Wirklichkeit nennen können; bis wir sagen können: Das ist, darüber besteht kein Zweifel; bis wir unter Wasser, Eis und Feuer den point d'appui gefunden haben, die Stelle, auf der wir eine Mauer oder einen Staat gründen, einen Leuchtturm errichten oder noch besser einen Pegel verankern können, keinen Wasserstands-, sondern einen Wirklichkeitsanzeiger, an dem künftige Generationen erkennen können, wie hoch die Wellen der Täuschungen und
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    des Scheins jeweils gestiegen waren. Wenn du einer Tatsache unerschrocken und mutig ins Auge siehst, dann wirst du auf ihren beiden Seiten die Sonne funkeln sehen wie bei einem Türkensäbel. Ihre süße Schneide wird dir Herz und Mark
    durchdringen, und freudig wirst du deine sterbliche Laufbahn beschließen. Ob Leben, ob Tod, uns verlangt einzig nach Wirklichkeit. Und geht es tatsächlich einmal ans Sterben, dann dürfen wir uns dem Röcheln in unserer Kehle, der Kälte in unseren Gliedern überlassen; aber solange wir leben, haben wir anderes zu tun.
    Die Zeit ist nur der Strom, in dem ich auf Fischfang gehe. Ich trinke daraus, doch während ich trinke, erblicke ich den sandigen Grund und entdecke die Seichtheit. Die schwache Strömung gleitet dahin, die Ewigkeit aber bleibt. Ich möchte einen noch tieferen Zug machen, im Himmel fischen, dessen Grund mit Sternen ausgelegt ist. Ich kann nicht bis Eins zählen.
    Ich weiß nicht den ersten Buchstaben des Alphabets. Ich habe stets bedauert, daß ich nicht so weise war wie der Tag, der mich geboren. Der Geist ist ein Beil, mit schneidender Schärfe bahnt er sich den Weg in das Geheimnis der Dinge. Ich bin nicht gewillt, mehr mit den Händen zu arbeiten als nötig ist.
    Mein Kopf ist Hand und Fuß zugleich. In ihm weiß ich meine besten Fähigkeiten vereinigt. Mein Instinkt sagt mir, daß mein Kopf ein Organ zum Wühlen ist gleich Schnauze und
    Vorderpfoten mancher anderer Geschöpfe; mit ihm werde ich mir einen Weg durch die Hügel meiner Umgebung graben. Die reichste Ader muß hier irgendwo in der Nähe liegen, das verraten mir die Wünschelrute und die leichten,

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