Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
auf einen früheren Daseinszustand zurückgeführt werden muß, der in seiner Erhabenheit unserem Verstande unfaßlich ist ... Ich lege das Buch aus der Hand und gehe zu meinem Quell, um Wasser zu schöpfen. Und siehe da! Dort treffe ich den Diener des Brahminen, des Priesters von Brahma, Vishnu und Indra. Noch immer sitzt er in seinem Tempel am Ganges und liest in den Veden, oder er lebt zu Füßen eines Baumes mit seiner Brotrinde und seinem Wasserkrug. Ich treffe den Diener, der Wasser für seinen Herrn holt und unsere Eimer klirren gleichsam aneinander in demselben Quell ... Das reine Waldenwasser ist mit des Ganges heiligen Fluten vermischt. Günstige Winde treiben es fort, vorbei an der Stelle, wo einst die Märcheninseln der Atlantis und der Hesperiden lagen. Es macht den Periplus des Hanno, flutet an Ternate und Tidore und an der Mündung des persischen Golfes vorbei, zerstäubt unter den tropischen Stürmen des indischen Ozeans und landet in Häfen, von denen Alexander nur den Namen hörte.
Frühling
Wenn die Eisarbeiter große Flächen abtragen, so bricht der Teich meistens früher auf, da das vom Wind bewegte Wasser selbst bei kaltem Wetter das die Löcher umgrenzende Eis wegfrißt. Das traf in diesem Jahr beim Walden nicht zu, denn er hatte schon bald wieder ein neues, dickes Wams an Stelle des geraubten angezogen. Dieser Teich wird nie so zeitig eisfrei wie andere in der Nachbarschaft, erstens, weil er größere Tiefe besitzt und zweitens, weil kein Fluß durch ihn hindurchfließt, der das Eis schmelzen oder aushöhlen könnte. Ich erinnere mich nicht, daß er jemals im Winter aufbrach, selbst nicht im Winter 1852/53, wo die Teiche auf eine harte Probe gestellt wurden. Gewöhnlich fängt er ungefähr am ersten April an aufzutauen, acht bis zehn Tage nach dem Flintteich und nach Fair Haven. Das Eis schmilzt zuerst an der Nordseite und an jenen seichten Stellen, an denen es auch zuerst sich bildete. Er zeigt besser als irgend ein anderes Wasser ringsum den absoluten Fortschritt der Jahreszeit an, da er von vorübergehenden Temperaturschwankungen am wenigsten beeinflußt wird. Wenn es im März einige recht kalte Tage hintereinander gibt, so kann dadurch das Auftauen der erstgenannten Teiche bedeutend verzögert werden, während die Temperatur im Waldensee nahezu konstant steigt. Ein am 6. März 1847 in der Mitte des Walden ins Wasser versenktes Thermometer zeigte 32° Fahrenheit, also den Gefrierpunkt. Nahe am Ufer gab es 33° an; in der Mitte vom Flintteich an demselben Tage 32 ½°, und etwa fünfzig Meter vom Ufer entfernt in seichtem Wasser unter fußdickem Eis 36°. Dieser Unterschied von 3 ½° zwischen der Temperatur des tiefen und des seichten Wassers im Flintteich und die Tatsache, daß ein großer Teil diesesGewässers verhältnismäßig flach ist, erklären, weshalb es so viel früher aufbricht als der Walden. Das Eis war an den seichten Stellen mehrere Zoll dünner als in der Mitte. Im strengen Winter war die Mitte am wärmsten und das Eis daselbst am dünnsten. Jeder, der einmal im Sommer am Ufer eines Teiches gewatet hat, konnte beobachten, wieviel wärmer das Wasser dicht am Ufer ist (wo die Tiefe nur drei bis vier Zoll beträgt), als etwas weiter hinaus, wieviel wärmer tiefes Wasser in der oberen Schicht als nahe am Grunde ist. Im Frühjahr übt die Sonne nicht nur durch die erhöhte Temperatur der Erde und der Luft Einfluß aus, sondern ihre Wärmestrahlen dringen durch mehr als fußdickes Eis, werden in seichtem Wasser vom Boden reflektiert, wärmen also das Wasser und bringen die Unterfläche des Eises zum Schmelzen, während sie gleichzeitig und auf direktem Wege auch die Oberfläche bearbeiten, so daß sie uneben wird und die Luftblasen im Eise sich nach oben und unten ausdehnen, bis die Eisfläche endlich ganz wie eine Honigscheibe aussieht und während eines Frühlingsregens plötzlich verschwindet. Das Eis hat seine Faserung so gut wie das Holz, und wenn ein Eisstück anfängt zu zerfallen oder Zellen zu bilden, d. h. wenn es das Aussehen einer Honigscheibe annimmt, so stehen die Luftzellen rechtwinklig zur ehemaligen Wasseroberfläche, ganz einerlei, in welcher Lage sich das Eisstück befindet. Dort, wo ein Felsen oder ein Baumstumpf nahe an die Oberfläche emporragt, ist das Eis bedeutend dünner, ja es ist sogar häufig durch die zurückgestrahlte Wärme völlig geschmolzen. In Cambridge hat man, wie mir erzählt wurde, den Versuch gemacht, Wasser in einem flachen
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