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Waldesruh

Waldesruh

Titel: Waldesruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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Gesicht stand der Schrecken deutlich geschrieben.
    »Was wollen Sie?«, fragte Emily unumwunden.
    »Nur ein Bett für heute Nacht.« Er neigte in einer theatralischen Geste der Bescheidenheit den Kopf.
    »Was? Auf keinen Fall!«, wehrte Marie ab. »Wir haben kein Bett frei, wir sind keine Pension.«
    »Im Radio haben sie Regen gemeldet. Gewitter. Da könnt ihr doch einen armen alten Mann nicht vor die Tür jagen wie einen Hund.«
    »So alt kommen Sie mir gar nicht vor. Und es gibt doch Unterkünfte für...für Leute wie Sie«, wandte Emily ein. Beinahe hätte sie »Landstreicher« gesagt. So nannte jedenfalls ihre Großmutter solche Leute. Vermutlich war das Wort heutzutage nicht mehr politisch korrekt. Dabei fand Emily, dass sich Landstreicher nach Freiheit, Unabhängigkeit und Abenteuer anhörte, während Obdachloser nur auf etwas Fehlendes hinwies. Ähnlich wie Arbeitsloser.
    Wie absurd, Menschen durch ihre Mängel zu klassifizieren. Nach dieser Logik müsste man mich als Busenlose bezeichnen.
    Sie gab sich einen Ruck. Wie konnte sie nur an so etwas denken? Sie hatten schließlich im Moment ganz andere Probleme!
    »Kinder, nun seid mal nicht so herzlos!«, meinte der Mann leutselig und nahm sich eine zweite Flasche Bier aus dem Kühlschrank. »Ich tu doch nichts.«
    Er öffnete die Flasche auf die gleiche Weise wie vorhin und begab sich dann ins Wohnzimmer, wo er sich auf das Sofa fläzte. Seinen Rucksack nahm er mit.
    Marie und Emily blieben in der Küche und überlegten verzweifelt, wie sie ihn wieder loswerden konnten. Aber ihnen fiel nichts wirklich Vernünftiges ein.
    Janna kam zurück, allein. Sie trat ins Haus, warf einen Blick durch die geöffnete Tür aufs Sofa, wo der Fremde gerade ein Nickerchen hielt, und stellte fest: »Der ist ja immer noch da.« Besonders überrascht klang sie nicht.
    »Der Typ will über Nacht bleiben«, platzte Emily heraus. »Und er weiß Bescheid. Oder er ahnt etwas.«
    »Verdammter Mist!«
    »Wo ist Moritz?«, fragte Marie.
    »Sein Freund Paul wollte unbedingt, dass er bei ihm übernachtet, und Pauls Mutter hatte nichts dagegen, also habe ich es ihm erlaubt. Zum Glück.« Janna sah wieder zum Wohnzimmer hinüber.
    »Kannst du nicht Axel anrufen?«, schlug Marie vor. Den Freund ihrer Schwester in ihr Geheimnis einzuweihen, schien ihr im Moment das kleinere Übel zu sein.
    »Der ist auf einer Fortbildung in Frankfurt«, antwortete Janna und bemerkte zum zweiten Mal an diesem Tag: »Männer sind nie da, wenn man sie braucht. Merkt euch das schon mal.«
    ». . . sprach die weise Alte«, murmelte Marie.
    Ganz kurz dachte Emily an Lennart. Vielleicht konnte sie ihn um Hilfe bitten. Er hatte etwas an sich, das ihr Vertrauen einflößte, obwohl Janna ihn auf dem Rückweg vom Eiscafé einen »ziemlichen Spinner« genannt hatte. Allerdings mit einer gewis sen Anerkennung im Tonfall. Aber Lennart in die Sache hineinzuziehen, das würde auch bedeuten, ihm alles erklären zu müssen. Und außerdem – Lennart war auch erst sechzehn. Vor ihm hätte der Mann sicher genauso wenig Respekt wie vor Janna.
    Fieberhaft überlegten die drei, wen sie noch um Hilfe bitten könnten, aber wie sie es drehten und wendeten, jeder würde Fragen stellen. Fragen, die sie nicht gebrauchen konnten.
    »Passt auf«, flüsterte Janna. »Wir kommen wohl nicht drum herum, ihn hier übernachten zu lassen. Am besten im Wohnzimmer, auf dem Sofa. Wir werden Wachen einteilen. Jede von uns muss einen Teil der Nacht oben auf der Treppe verbringen. Von dort kann sie den Typen beobachten und die anderen wecken, falls er einen Mucks macht. Marie übernimmt die erste Schicht bis ein Uhr. Emily von eins bis vier und ich mach den Rest. Um sieben steht ihr beide wieder auf, klar?«
    »Klar«, nickten Emily und Marie.
    »Ich koche uns jetzt was. Uns«, betonte Emily. »Für den da drüben machen wir extra was. Ich habe nämlich keine Lust, mich mit diesem blöden Arsch an einen Tisch zu setzen.«
    »Deine Ausdrucksweise hat auch schon gelitten in den paar Tagen«, stellte Janna fest.
    »Woher das wohl kommt?«, fragte Marie.
    Sie hatten den Plan ohne den Fremden gemacht. Der Duft der Bratwürste weckte den Eindringling und er verschlang den größten Teil ihres Essens – Würstchen mit Kartoffelpüree aus der Tüte. Aber seine Anwesenheit verdarb den dreien ohnehin den Appetit. Den Bohneneintopf aus der Dose, den sie für ihn vorgesehen und in den alle drei mit Wonne hineingespuckt hatten, ließ der Mann stehen, sodass sie ihn

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