Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Waldos Lied (German Edition)

Waldos Lied (German Edition)

Titel: Waldos Lied (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
Vom Netzwerk:
entschuldigte sich mit einer Ausrede: Er erwarte die Geburt eines Sohnes und könne deshalb nicht erscheinen. Ähnlich hielten es viele andere Fürsten des Reiches.
    Doch die Sachsen kamen nach Goslar. Und zwar mit so vielen Kriegern, dass Heinrich nichts anderes übrigblieb, als sich endlich an die Vereinbarung von Gerstungen zu halten und die Zerstörung seiner Burgen anzuordnen. Da konnte sich der aufgestaute Zorn des Volkes endlich Bahn brechen. Als die Bauern sahen, dass die Harzburg noch immer stand, rückten sie in großer Menge an und zerstörten die verhasste Festung, das Sinnbild der Grausamkeit des Königs gegen ihr Volk. Alle Mauern, Türme und Tore fielen, sie wurden niedergerissen bis auf den letzten Stein. Die Menge wütete fürchterlich. Sie brachen in die königlichen Schatzkammern ein, raubten vor Gold strotzende Kultgewänder, kostbare Gefäße und Herrschaftszeichen. Dann drangen sie in das Stift vor. Dort stahlen sie den edelsteinbesetzten Zierrat von den Altären, zerstörten Bilder und Schreine. Den Geistlichen rissen sie die Gewänder vom Leib und gingen mit Fäusten auf sie los. Sie schändeten sogar die Gräber des Bruders des Königs sowie seines im Säuglingsalter verstorbenen Sohnes Heinrich und verstreuten die Gebeine in der ganzen Umgebung. Danach schleuderten sie brennende Kugeln auf die Spitze der Kirche. Sie äscherten alles ein. Die Harzburg, die liebste Burg des Königs, war dem Erdboden gleichgemacht. Auch die anderen Burgen und zahlreiche Königshöfe der Umgebung wurden völlig verwüstet.
    Im ganzen Reich herrschte helle Empörung über diese Schändlichkeit. Und der König sann unablässig auf Rache, obwohl die sächsischen Fürsten behaupteten, dies alles sei ohne ihr Wissen und Wollen geschehen, und die Schuldigen streng bestraften.
    Doch zu dieser Zeit hatte ich wenig Verständnis für die Gefühle des Königs. Denn auch ich selbst bekam eine Nachricht, die mich vollkommen zu Boden schmetterte, als ich endlich wieder nach St. Blasien kam. Der Herzog hatte mir gleich nach unserer Ankunft auf der Burg im Rhein die Erlaubnis erteilt, für einige Wochen in die Abtei zurückzukehren, auch weil er glaubte, dass ich in dieser abgelegenen Gegend und in der Obhut der Mönche in Sicherheit wäre. Meine beiden Wächter und Freunde Meginfried und Beringo blieben deshalb auf der Burg zurück. Sie umarmten mich herzlich zum Abschied, wobei mir Meginfried beinahe alle Knochen im Leib zerdrückte.
    So machte ich mich auf den Weg. Ich war voller Erwartung zu sehen, wie weit die Brüder auf dem Weg der Reformen fortgeschritten waren. Und ich brannte darauf, Sophia wiederzusehen, hin- und hergerissen zwischen Herz und Verstand, denn mein Verstand war zutiefst davon überzeugt, dass die Ehelosigkeit für einen Mann der Kirche der richtige Weg war — wie es der neue Papst Gregor und auch schon seine Vorgänger gefordert hatten — und dass ich den Ordensregeln des heiligen Benedikt folgen sollte. Und dennoch. Ja, dennoch.
    Abt Giselbertus begrüßte mich mit einem heiteren Lächeln.
    »Wir haben schon von deiner Ankunft gehört. Der Herzog schickte uns einen Boten. Waldo, mein Sohn, es ist eine Freude, dich wieder hier bei uns zu haben. Wenngleich vielleicht auch nur für kurze Zeit. Denn Herzog Rudolf ließ uns auch wissen, dass er dich bald wieder zu sich befehlen werde. Aber wir wollen jetzt nicht von Abschied sprechen, da du doch gerade erst angekommen bist. Es hat sich viel verändert hier in St. Blasien, seit du fortgingst.«
    Die nächsten Tage war ich vollauf damit beschäftigt, all jene Veränderungen kennenzulernen, von denen Giselbertus gesprochen hatte. Er hatte nicht zuviel versprochen. Nicht alle Mönche des Klosters waren freilich von den Neuerungen in ihrem Leben angetan. Besonders jene, die lieber faulenzten als arbeiteten. Andere klagten über die Beschränkung des Weines zu den Mahlzeiten. Es gab nicht nur weniger, sondern diesen wenigen nun auch noch mit Wasser verdünnt. Wieder andere ärgerten sich darüber, dass sie sich nun bereits in der Kirche zum Gebet versammeln mussten, ehe der Tag begonnen hatte. Doch selbst die schärfsten Kritiker mussten zugeben, dass dieses einfache Leben eine ganz eigene Schönheit barg und die Gemeinschaft unter den Brüdern viel enger geworden war. Dabei half auch die religiöse Übung des Schweigens. So mancher Missmut, mancher kleine Zank war danach schon wieder vergessen. Und sie merkten, dass ihnen die Hintersassen des Klosters und die

Weitere Kostenlose Bücher