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Waldos Lied (German Edition)

Waldos Lied (German Edition)

Titel: Waldos Lied (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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kam. Trotz des Schmerzes, den mir seine Erzählung bereitet, war mir auch bewusst, welch tiefe Dankbarkeit ich ihm dafür schuldete. Mehr, als ich ohnehin schon empfand.
    »Es ist ungerecht, dass sie so leiden muss und der Verführer ganz ohne Strafe davonkommt. Er müßte ebenso leiden wie sie.«
    »Das tut er wohl auch, wenn er noch ein Gewissen hat, mein Bruder«, erwiderte Giselbertus sanft.
    Ich sah ihn an, ohne in meinen Augen die Qualen zu verbergen, die ich fühlte. »Vater, würdet Ihr mir die Beichte abnehmen? «
    Giselbertus legte die Hand auf meine Schulter. »Ich habe gehofft und immer wieder zum Herrn gebetet, dass du darum bitten würdest, mein Bruder.«
    Ich beichtete ihm alles und schonte mich nicht. Aber ich sagte ihm auch, was Sophia schon den Nonnen erklärt hatte. Dass es aus Liebe geschehen war.
    Danach ging ich in den Wald, obwohl es schon dunkel wurde. Zu dem Felsen mit der kleinen Buche, an dem wir uns in jener Nacht getroffen hatten. Als alles begann und alles endete. Ich wollte von ihr Abschied nehmen. Ich betete von ganzem Herzen, dass das Schicksal ihr einen guten Mann an die Seite gestellt hatte, der sie achtete und ehrte.
    Genau in diesem Moment hörte ich wieder die Stimme. Sie war ganz nah, fast an meinem Ohr. Ebenso bösartig und drohend wie schon die beiden Male zuvor, flüsterte sie dieselben Worte: »Komm zum Kreuz, wenn dir dein Leben lieb ist.«
    Wieder suchte ich trotz meiner Furcht die gesamte Umgebung ab. Wieder fand ich niemanden. Ich wusste kein Kreuz, das gemeint sein konnte, außer dem in der Kirche von St. Blasien. Und das, von dem in den Pergamenten der unglücklichen Kaisertochter Mathilde die Rede war. Die Schriftstücke, die Sophia für mich gefunden hatte ...
    In diesem Augenblick hatte ich eine Vision. Ich sah ein hohes Kreuz in den Himmel ragen. An seinem steinernen Sockel lehnte ein Schwert. Der Sturm trieb dunkle, drohende Wolken darauf zu. Mir war, als würde dieses Kreuz mich rufen. Dieses Bild hatte mich so in seinen Bann geschlagen, dass ich mich schütteln musste, um es wieder loszuwerden. Da wusste ich mit einem Male: Diese Stimme war ein Zeichen. So, wie Sophia ihr Kreuz hatte auf sich nehmen müssen und gehen, so würde auch ich fortgehen. Alles verlassen, was mir am Herzen lag. Ich würde das Kreuz suchen. Und dabei Buße für meine Sünde tun. Mit diesem Gedanken kniete ich nieder und schwor Sophia und Gott einen heiligen Eid: Nichts würde mich künftig in meiner Suche aufhalten, ich würde nicht ruhen, bis ich dieses Kreuz gefunden hatte. Und das Schwert mit der Rose. Denn die Suche nach dem Schwert war meine wahre Bestimmung in diesem Leben. Die Geschichte des Fluches, der auf ihm lag, hatte an jenem Ort begonnen, der mir in meiner Vision gezeigt worden war. Da war ich mir sicher. Ich würde diesen Ort finden, auch wenn er am Ende der Welt lag.
    Am nächsten Morgen ging ich zu Abt Giselbertus, erzählte ihm von meinem Eid und bat um meine Entlassung aus dem Kloster. Von dem Schwert sprach ich nicht.
    »Du nimmst eine schwere Buße auf dich, Waldo, mein Bruder. Eine noch viel schwerere, als ich sie dir in deiner Beichte auferlegt habe. Doch ich sehe, du hast dich dazu entschlossen, diese Pilgerfahrt anzutreten, um dein Seelenheil wiederzufinden, und bist durch nichts aufzuhalten. Deshalb werde ich dir nicht im Wege stehen. Auch wenn es mich schmerzt, dass du wirst leiden müssen. Ich weiß allerdings nicht, ob der Herzog dich ziehen lassen wird«, meinte er schließlich nachdenklich.
    »Ich werde ihm von meinem Schwur erzählen«, erklärte ich dem gütigen Vater Abt von St. Blasien.
    »Gott segne und behüte dich, mein Bruder. Vielleicht werden wir uns in diesem Leben niemals wiedersehen. Deshalb wisse: Es gibt nur wenige Menschen auf dieser Welt wie dich. Du wirst uns allen sehr fehlen.«
    Ich schluckte, um den Kloß in meiner Kehle loszuwerden, und dankte ihm für seine freundlichen Worte. Auch er würde mir fehlen. Ebenso wie meine Heimat. Dann schieden wir voneinander.
    Noch in derselben Stunde packte ich meine wenigen Besitztümer und machte mich auf den Weg zur Burg. Ich würde mich auf keinen Fall heimlich davonstehlen wie ein Dieb in der Nacht. Ich hatte keine Angst vor dieser Reise. Auch wenn ich nichts besaß. Udalrich, der Jäger, hatte mir vieles beigebracht, was nötig war, um Wild zu jagen oder um essbare Wurzeln, Beeren und Pilze zu finden. Und von Meginfried und Beringo hatte ich gelernt, mich zu verteidigen. Wieder einmal dankte ich

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