Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Waldos Lied (German Edition)

Waldos Lied (German Edition)

Titel: Waldos Lied (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
Vom Netzwerk:
Menschen aus den umliegenden Weilern im Tal mit mehr Ehrfurcht begegneten, weil sie ihre Berufung als Männer Gottes ernst nahmen.
    Mit großer Freude betrat ich das Scriptorium. Rusten, der meine Aufgaben für die Zeit meiner Abwesenheit übernommen hatte, bestürmte mich sofort mit zahllosen Fragen zu den Pergamenten, die wir aus Fruttuaria mitgebracht hatten. Denn die damals flüchtig abgefassten Kopien bargen noch viele Fehler und waren teilweise nicht gut zu lesen. Doch die Brüder waren schon ein gutes Stück damit vorangekommen, sie sorgsam und kunstvoll noch einmal niederzuschreiben. So saßen wir manche Stunde am Tag und oft bis zum ersten Gebet über den Pergamenten, verbunden durch die gemeinsame Aufgabe und das gemeinsame Ziel.
    Sophia hatte ich noch immer nicht gesehen. Ich wagte es auch nicht, nach ihr zu fragen. Ich hoffte, sie an Ostern zu treffen. Denn zu hohen Feiertagen wie Ostern, Pfingsten oder Weihnachten kamen die Nonnen des St. Blasier Konvents, um mit uns gemeinsam zu beten und das Heilige Abendmahl zu feiern.
    Ostern kam. Sophia war nicht unter den Schwestern. Ich befürchtete schon, sie sei krank geworden, und machte mir große Sorgen. Da fragte ich Giselbertus dann doch eines Tages nach dem Nachtgebet, als wir auf dem Weg zurück in unsere Zellen ein Stück gemeinsam gingen, nach ihr. Ich versuchte, meine Frage in eine möglichst unverfängliche Form zu kleiden. »Vater Abt, Ihr habt mir noch nichts darüber erzählt, wie die Nonnen des St. Blasier Konvents mit den neuen Ordensregeln zurechtkommen.«
    »Ich wunderte mich schon, dass du mich nicht danach gefragt hast. Denn es ist ja zu Teilen auch dir zu verdanken, dass sie dort eingeführt werden konnten. Auch unsere Schwestern sind glücklich über die Neuerungen — soweit Menschen mit Neuem glücklich sein können. Aber das hast du ja sicher auch bei den Mönchen bemerkt. Das Gewohnte macht träge. Und diese Trägheit abzuschütteln ist nicht jedermanns Sache. Aber die Oberin versicherte mir, dass die Schwestern gute Fortschritte machten.«
    Er hatte Sophia mit keinem Wort erwähnt. Ich musste mich also weiter vorwagen.
    »Ihr tut mir zuviel der Ehre an, Vater. Einen wohl ebenso großen Anteil am Erfolg hat die Schwester, die die Nonnen zu mir in den Unterricht schickten. Sie war zwar noch jung, aber dafür eine Frau von wachem Verstand, und sie erwies sich als sehr lernbegierig.«
    Giselbertus musterte mich eigenartig von der Seite.
    »Lernbegierig mag sie ja gewesen sein. Von wachem Verstand aber nicht. Denn sie lernte Dinge, die sie am besten nicht erfahren hätte.«
    Mich überfiel eine dunkle Ahnung. »Was ist geschehen? «
    »Hast du es denn noch nicht gehört? Alle sprachen tagelang von nichts anderem. Es hat der Einführung der neuen Regeln in St. Blasien sehr geschadet. Du warst bereits einige Wochen weg, da kam die Mutter Oberin in heller Aufregung zu mir. Schwester Sophia sei während des gemeinsamen Gebetes ohnmächtig geworden, berichtete sie. Als sie anschießend gründlich untersucht wurde, bemerkten die Nonnen, dass sie ein Kind erwartete. Da wurde sie mit Schimpf und Schande zu ihren Eltern zurückgeschickt. Wie ich hörte, hat man sie dort schnellstens mit einem Dienstmann ihres Vaters verheiratet, der bereit war, sie gegen eine gute Mitgift mit dem Kind im Leib zu nehmen. Nur so konnten sie und ihre Familie der öffentlichen Schande entgehen. Der Herr möge ihrer Seele gnädig sein und ihr verzeihen. «
    Mir war, als ziehe mir jemand den Boden unter den Füßen weg. Das Herz blutete mir aus Mitleid. Oh, meine Geliebte. Wie schwer musste dies alles für sie gewesen sein, wie demütigend. Ich hatte sie ins Unglück gebracht. Und ich war nicht bei ihr gewesen, als sie mich brauchte.
    »Das sind ja schreckliche Geschehnisse«, presste ich schließlich hervor. Ich hoffte inbrünstig, dass meinem Gesicht meine innere Aufgewühltheit nicht anzusehen waren. »Weiß man denn, wer der Verführer ist? «
    Wieder streifte mich ein seltsamer Blick. »Sie schwieg, obwohl die Schwestern sie fast zu Tode geprügelt haben, um es aus ihr herauszubekommen. Allen erklärte sie, Gott wisse durch ihre Beichte, wer der Vater ihres Kindes sei. Und er werde es annehmen. Denn es sei in Liebe gezeugt.«
    Abt Giselbertus wusste es also. Er war der Beichtvater der Nonnen. Doch er hätte nicht darüber sprechen können, ohne das Beichtgeheimnis zu brechen. Deswegen also hatte er Sophia nie erwähnt und gewartet, bis ich selbst auf sie zu sprechen

Weitere Kostenlose Bücher