Waldos Lied (German Edition)
sahen.
Rudolf begab sich danach nicht zu dem großen Fest, das der König anberaumt hatte. Er zog sich in sein Zelt zurück. Und noch während des Festes wurde klar, dass Heinrich sein Wort gegenüber den geschlagenen Fürsten nicht halten würde. Keiner durfte in Frieden heimziehen. Einer nach dem anderen wurde wie ein Verbrecher gefesselt und dann einem der königstreuen Fürsten übergeben. Rudolf aber weigerte sich. Er sei ein Krieger und kein Gefangenenwärter, ließ er Heinrich wissen. Doch auch ihn zwang der König schließlich zum Nachgeben. Die Gefangenen wurden auf die verschiedensten Orte in Gallien, Schwaben, Baiern, Italien und Burgund verteilt, damit sie möglichst weit von ihrem Volk entfernt waren. Ihre Besitzungen vergab Heinrich an seine Günstlinge, die sie hemmungslos ausplünderten. Dann ging er sofort daran, die Burgen in Sachsen wiederaufzubauen und malträtierte das geschundene Volk noch schlimmer als zuvor.
Der Herzog von Schwaben konnte seinen Widerwillen gegen den König kaum noch verbergen. »Wenn wir noch länger in seiner Nähe bleiben, bringe ich ihn um«, knurrte er eines Tages. Deshalb reisten wir trotz des einbrechenden Winters zurück an den Rhein. Ich war glücklich darüber, denn ich hoffte, endlich nach St. Blasien zu kommen. Aber Rudolf ließ mich nicht gehen.
Herzogin Adelheid begrüßte mich wie immer voller Wärme. Sie war sehr gealtert in der Zeit, in der wir uns nicht gesehen hatten. Sie zählte nicht viel mehr Jahre als ich, doch das Leid um den Tod ihres Sohnes Otto und einer weiteren kleinen Tochter mit Namen Bertha, aber auch Ängste und Enttäuschungen hatten tiefe Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen. Ebenso wie der Herzog schien sie alle Lebenskraft verloren zu haben.
Als ich nur wenige Stunden nach unserer Ankunft einige Zeit mit ihr verbrachte, hellte sich ihr Gesicht auf. Sie war voller Neugier, was ich in der Zwischenzeit alles erlebt hatte. Und es gab keinen Grund für mich, vor ihr Geheimnisse zu haben. Wir kannten einander schon zu lange, hatten zu viel miteinander erlebt. So sprach ich ihr auch von Sophia, der Stimme, meinem Kampf auf Leben und Tod und dass ich schließlich auf diese Weise meine Familie gefunden hatte. Aber auch, dass ich ohne das Schwert zurückgekommen war.
Die Herzogin hörte meine Geschichte voller Mitgefühl. Einige Male hatte sie sogar Tränen in den Augen. Dann fasste sie, wie schon so oft in den Jahren zuvor, meine Hand und lächelte mir herzlich zu. »Eines Tages wirst du dieses Schwert finden, Waldo von St. Blasien. Ich spüre es ganz tief in mir. Immerhin hat dich die Suche schon zu deiner Familie geführt. Du weißt nun, wer du bist und wo deine Wurzeln sind. Auch das gehörte vielleicht zu deiner Suche. Und wenn du das Schwert gefunden hast, dann wirst du die Splitter vom Kreuz Jesu dorthin bringen, wohin sie gehören. In das Haus des Herrn in St. Blasien.«
Wieder einmal bewunderte ich diese Frau und ihre innere Stärke. Sie war immer noch voller Anteilnahme für die Nöte anderer — und immer noch unverbrüchlich fest im Glauben an die Voraussicht und die Gerechtigkeit des Allmächtigen. In diesem Moment wünschte ich mir mehr als alles andere, diesen Glauben wiederfinden zu können.
Ich räusperte mich verlegen. »Ich wünschte, ich könnte so fest daran glauben wie Ihr, Herrin. Doch wann immer ich denke, ich komme dem Schwert näher, rückt es weiter von mir fort als jemals zuvor. Und wie kann ich es finden, wenn der Herzog mich nicht fortlässt. «
»Waldo, lieber Freund, was ist nur mit dir? Anstatt dich zu freuen, dass du nun eine Familie hast, kehrst du niedergeschlagen zu uns zurück. Siehst du denn nicht, wieviel Gott der Herr bereits für dich getan hat? Hab ein wenig Geduld mit meinem Gemahl und mit mir. Wir brauchen dich in diesen Schreckenszeiten. Herzog Rudolf hat nicht viele Freunde. Er vertraut dir wie niemandem sonst. Noch nicht einmal mir. Ich flehe dich also an, lass uns nicht allein. Und sind wir nicht inzwischen auch ein wenig deine Familie? «
Wenn mich diese Frau um etwas bat, konnte ich nicht ablehnen. Also blieb ich. Es fiel mir jedoch sehr schwer, mich damit abzufinden und die Unrast zu bekämpfen, die mich befallen hatte, seit ich zum ersten Mal von dem Schwert mit der Rose gehört hatte. Doch die Herzogin hatte recht. Nicht nur die Bande des gemeinsamen Blutes machen eine Familie aus, sondern auch die gemeinsam durchlittenen und bewältigten Sorgen und Nöte. Das wurde mir am nächsten Tag
Weitere Kostenlose Bücher