Waldos Lied (German Edition)
zwölften Stein beschien, da hob Rudolf noch einmal die rechte Hand und sprach die alte Eidesformel der Könige.
Es gab wohl niemanden unter den Versammelten, der diesen Moment jemals vergessen wird. Auf dem Pilatusfeld herrschte völlige Stille. Nur die Stimme des Mannes auf dem zwölften Stein war zu hören — ruhig und entschlossen. Die Strahlen der Mittagssonne legten sich wie ein Mantel um seine hochaufgerichtete Gestalt.
Erst viel später, in der Nacht nach dem großen Fest, das der Wahl gefolgt war, beugte auch ich das Knie vor meinem König. Denn bis tief in die frühen Morgenstunden war einer der Fürsten nach dem anderen in das Zelt Rudolfs gekommen, um sich mit ihm zu besprechen. Mir war nichts weiter übriggeblieben, als still dabeizusitzen und zuzuhören. Der Herzog von Schwaben wollte mich immer um sich haben. Und so hielt es jetzt auch der König.
Elf Tage später, am Sonntag Laetare, am z6. März im Jahre des Herrn 1077, wurde Rudolf von Erzbischof Siegfried im Martinsdom zu Mainz bei einem feierlichen Hochamt zum König geweiht.
Es war eine prächtige Versammlung. Juwelen und Gold funkelten, die Mächtigen des Reiches trugen ihre kostbarsten Gewänder. Rudolf kniete mit gesenktem Kopf vor Siegfried von Mainz. Dann hob der Erzbischof vor dem Altar feierlich die Krone hoch, segnete sie und setzte sie auf das Haupt des Königs. Es war die Krone, die die Herzogin mir gezeigt hatte. Auch sie kniete neben ihm, wunderschön anzusehen in ihrem enganliegenden Gewand, in das so viele Goldfäden eingewirkt waren, dass es wirkte, als sei es aus schierem Gold. Ihre von Perlen und Edelsteinen funkelnde Schleppe war so lang, dass sie alle Stufen bedeckte, die zum Altar hinaufführten. Berthold, der Erbe des Geschlechtes Rheinfelden, stand neben Rudolf. Ich sah den Stolz in seinen Augen. Die Töchter Adelheid und Agnes standen neben der Mutter.
Da reichte Berthold seinem Vater eine weitere, kleinere Krone, ebenfalls ein Reif. Auch sie wurde von Siegfried von Mainz gesegnet. Daraufhin erhob sich Rudolf und setzte sie seiner Gemahlin auf ihre dunklen, kunstvoll mit Goldfäden und Perlen durchflochtenen Haare. Danach beugte er sich vor und zog sie zu sich empor. So zeigten sie sich den Menschen in der Kirche — der gesalbte König und seine Königin. Der Jubel im Gotteshaus wollte kein Ende nehmen. Schließlich stiegen sie die Stufen wieder hinunter, während die Stimmen der Mönche sich in einem jubelnden Gesang vereinten: »Freu dich Jerusalem und kommet alle zusammen ...«
Königin Adelheid legte ihre Hand auf den Arm ihres Gemahls, und so zogen sie zusammen mit ihren Kindern und dem Erzbischof und gefolgt von den Fürsten würdevoll durch das Portal des Martinsdomes von Mainz, um sich dem Volk zu zeigen. Wieder brandete großer Jubel auf. Alle, die vor dem Dom gewartet hatten, sanken beim Erscheinen des Herrscherpaares auf die Knie. Der König nahm die Huldigungen der Menschen entgegen.
Dann setzte sich der ganze prachtvolle Zug in Bewegung, um sich zum Krönungsmahl in die Pfalz zu begeben. Ich hatte mich hinten eingereiht. Im Vorbeigehen hörte ich die bewundernde Stimme einer Frau. »Sie sind so prächtig wie die Heilige Familie. «
»Nein, sie sind so prächtig wie der Mörder des Erlösers. Weißt du nicht, dass sie diesen König seit seiner Wahl auf diesem verfluchten Feld bei Forchheim den neuen Pontius Pilatus nennen?« antwortete ein Mann. So vernahm ich zum ersten Mal den schimpflichen Beinamen, mit dem seine Feinde König Rudolf fortan bezeichnen sollten. Wieder überkam mich eine dunkle Ahnung, die ich nicht abschütteln konnte.
Das, was kurz danach geschah, schien diese Ahnung noch zu bestätigen. Denn beinahe wäre König Rudolf an diesem Tag das Opfer eines Mordanschlages einiger Anhänger Heinrichs geworden. Dieses Mal standen die versammelten Fürsten jedoch zu ihrem Treueschwur und kämpften ohne Rücksicht auf das eigene Leben für ihren König.
Alles begann ganz harmlos. Rudolf saß in der Mitte der großen Tafel, die für das Krönungsmahl aufgebaut war. Er unterhielt sich frohgelaunt mit dem Erzbischof von Mainz, der neben ihm saß, und beobachtete zwischendurch einige junge Leute, die sich auf dem Platz vor der Pfalz zu Kampfspielen versammelt hatten. Er wirkte zum ersten Mal seit Tagen wieder gelöst, ja fast glücklich. Es wurde viel gescherzt, die Menschen genossen die aufgetragenen Speisen und sprachen dem Wein und anderen berauschenden Getränken kräftig zu. Einige Adlige
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