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Waldos Lied (German Edition)

Waldos Lied (German Edition)

Titel: Waldos Lied (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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ich denn ein so abstoßend altes Weib geworden? Nun, dein Bart sprießt auch nicht mehr so üppig und ist ziemlich grau geworden.«
    Ich konnte ihr in diesem Moment nicht sagen, wie schön ich sie fand. Hinter all den Runzeln und Falten sah ich das Mädchen von einst. Da waren sie wieder: ihre Stimme, ihr Lachen, ihre wunderschönen, lebendigen grüngrauen Augen. Das Alter hatte sie nicht hässlich gemacht. Im Gegenteil. Doch ich alter Narr fand einfach keine Worte dafür. Also nahm ich ihre kleine Hand und küsste ihre raue und von der Arbeit rissig gewordene Innenfläche. So, wie damals, als wir uns in jener Nacht voneinander verabschiedeten. So wie damals hat sie mich verstanden, auch ohne Worte. Als wären wir niemals getrennt gewesen. Dabei lag ein ganzes Leben dazwischen.
    »Dein Bruder — ich habe deinen Bruder...«, stammelte ich schließlich.
    Sophias Augen wurden hart. »Er hat sein Schicksal selbst gewählt. Er wollte das Gottesurteil zwischen dir und ihm, um der Ehre und nicht um der Liebe willen. Und so hat Gott entschieden.«
    Sie schaute mich liebevoll an. »Er stand niemals zwischen uns«, fügte sie hinzu, als könne sie meine Gedanken lesen.
    Der Mann, mit dem sie kam, hielt sich die ganze Zeit nah neben ihr, ohne ein Wort zu verlieren. Da sah ich seine Augen. Es waren die Augen von Guiscuhiarn von Missilac, von Beringo dem Bretonen. Das gleiche tiefe, durchscheinende Blau. Es waren auch meine Augen. Sophia musste mir nicht sagen, wer er war.
    Sie blieben eine Woche. Es waren die glücklichsten Tage in meinem Leben. Obwohl wir uns noch niemals gesehen hatten, entdeckte ich viele Eigenschaften von mir in meinem Sohn, allerdings auch einige Fehler, zum Beispiel meine Art, manchmal zuerst zu handeln und dann zu denken. Doch das wird sich mit den Jahren bei ihm ebenso geben wie bei mir. Er ist ein Mann mit einem großen Herzen und einem scharfen Verstand. Sophia hat ihn gut erzogen, und ihr Mann war ihm ein guter Vater. Inzwischen hat mein Sohn selbst schon Kinder. Er versprach mir, eines Tages seine Familie zu mir zu bringen. Das hat er auch getan.
    Sophia war damals seit einem Jahr Witwe. Sie hätte bleiben können, doch alte Bäume verpflanzt man nicht mehr. Es ging ihr gut dort, wo sie lebte, und sie konnte die Menschen, die sie liebte, ebenso wenig verlassen wie ich meine Zelle im Wald.
    »Ich wollte dich noch einmal sehen, bevor ich sterbe«, sagte sie, bevor sie gingen, und streichelte meine Hand.
    »Ich danke dir. Ich bin stolz auf diesen Mann, der mein Sohn ist.« Mehr brachte ich nicht heraus. Doch verstand sie mich ebenso gut, wie sie wusste, dass ich sie noch immer liebte.
    Nur wenige Wochen darauf ist sie gestorben. Mein Sohn Warinharius überbrachte mir die Nachricht mit einem letzten Gruß von ihr.
    Ich wünsche mir so sehr, dass es doch einen gerechten, gnädigen Gott und ein Weiterleben nach dem Tode gibt. Denn dann werde ich Sophia wiedersehen.

 
     
    EPILOG
     
     
    Das vorliegende Manuskript fand sich unter jenen Unterlagen, die die Mönche von St. Blasien nach der Säkularisierung ihres Klosters 18o6/r8o7 mit in ihre neue Heimat, das Kloster St. Paul im Lavanttal in Kärnten, brachten. Es lag über Jahrhunderte unentdeckt in einer Kiste. Die Seiten waren zum Teil nur unvollständig erhalten, manche fehlten ganz. Ich habe den lateinischen Text übersetzt und ergänzt, besonders den Anfang.
    Der Schreiber hatte seine Lebensgeschichte, soweit ich dies beurteilen kann, in zwölf Kapitel unterteilt — so viele Jünger hatte der Erlöser. Ich glaube, er hatte seiner Geschichte aber noch ein dreizehntes Kapitel vorangestellt, das vom Tod seiner Eltern handelt. Ich habe versucht, es zu rekonstruieren, und als Prolog vorangestellt.
    Der einzige Hinweis darauf dass Waldo von St. Blasien gelebt haben könnte, ist das »Carmen de bello Saxonico«, das »Lied vom Sachsenkrieg«, das er immer wieder zitiert. Es ist uns überliefert, allerdings ohne Namen des Verfassers.
    Außerdem gibt es den Kreuzsplitter, von dem Waldo in seiner Lebensbeichte erzählt. Er wurde in eins der schönsten Kreuze gefasst, die wir aus dem Mittelalter kennen. Dies geschah jedoch erst lange nach Waldos Tod, nachdem ein »Gottesurteil« die Echtheit des Splitters zur Zufriedenheit von Abt Gunther von St. Blasien (1141-117o) bestätigt hatte. Es bekam den Namen Adelheidkreuz, nach seiner Spenderin, der Königin von Ungarn. Die Tochter Rudolfs von Rheinfelden und Gemahlin König Ladislaus' I. übergab dem Kloster die

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