Waldos Lied (German Edition)
Blasien.«
Heinrich musterte mich wie ein fremdartiges Tier. Plötzlich lachte er unsicher. Dann sah er auf sein Schwert und wieder auf mich. Die Blicke der Männer und Frauen hingen in atemloser Spannung an seinem Gesicht. Jeder der Männer war bereit, sofort zu seiner Waffe zu greifen. Heinrich lachte noch einmal, dieses Mal lauter — und steckte zu aller Überraschung das Schwert in die Scheide zurück. Dann wandte er sich an Rudolf von Rheinfelden. »Sagt, edler Herzog von Schwaben, ist dieser seltsame verkrüppelte Zwerg, der sich als Euer Mann bezeichnet, wirklich ein Prophet? «
Der Rheinfelder verneigte sich tief. »Alles, was er bisher sagte, wurde wahr. Ihr könnt jeden dazu befragen, mein
König.«
Heinrich nickte nachdenklich. Dann lachte er noch einmal und schüttelte sich, als wache er aus einem bösen Traum auf. »Selbst wenn er die Zukunft nicht sehen könnte, so ist es doch vergnüglich, wie er handelt. Er nahm mir die Lust am Kampf. So lasst uns denn den heutigen Tag feiern. Der König wird seine Herrschaft aus eigenem Recht nicht mit Blut beginnen, sondern mit Freude.«
Nun lachten auch alle anderen erleichtert auf. Die Anspannung war so schnell verschwunden wie die Luft aus einem aufgeblasenen Schweinemagen, in den hineingestochen wird. Niemand verstand so recht, was den plötzlichen Stimmungswandel Heinrichs herbeigerufen hatte, ich am allerwenigsten. Doch ich bin heute, viele Jahre danach, davon überzeugt, dass sein Glaube an die übersinnlichen Fähigkeiten jener, die verkrüppelt und andersartig durchs Leben gehen, auch seinen Teil dazu beitrug.
Viel später an diesem Tag, als niemand mehr an diesen Vorfall zu denken schien, nahm mich der König beiseite. Alle Gäste der Pfalz waren erhitzt von den Spielen, dem üppigen Festmahl und die meisten bezecht von Met und Wein. Auch des Königs Zunge hatte den leicht unsicheren Schlag eines Menschen, der kräftig den Becher geleert hat. Seine vollen Lippen wirkten noch weich wie die eines Kindes. Bald würden sie die Kraft eines leidenschaftlichen und unbeherrschten Mannes ausdrücken. Sie passten nicht so recht in dieses streng wirkende Gesicht mit der markanten Nase und der hohen Stirn. Seine Augen waren von einem so dunklen Braun, dass sie im Licht der Fackeln manchmal fast bläulich wirkten.
»Herzog Rudolf hat mir in der Zwischenzeit von dem Gespräch berichtet, das du letzte Nacht belauscht hast. Vielleicht hast du mich heute vor Schlimmem bewahrt und vor dem törichten Glauben an die Redlichkeit von Männern, denen ich vielleicht nicht blind vertrauen sollte. Ich werde das nicht vergessen. Solltest du einmal Hilfe benötigen, wende dich an deinen König. Konntest du die beiden erkennen, die da sprachen?«
Ich sah, dass Bischof Adalbert von Bremen sich, vom König unbemerkt, in unsere Nähe geschlichen hatte. Seine Augen funkelten vor nur mühsam zurückgehaltener Wut. Ich schüttelte den Kopf. Ich würde die Namen nicht nennen. Der König musste sie ohnehin kennen. Schließlich hatte der Bischof in der vergangenen Nacht ja genauestens von dem Gespräch berichtet, das er mit Heinrich geführt hatte. Dennoch, so ganz konnte ich mich nicht zurückhalten angesichts des feindseligen Blickes, den mir dieser Mann Gottes zuwarf. Ich hatte mir nach Kuno mit dem Bischof von Bremen nun schon einen zweiten Feind gemacht. Und dieser war im Reiche mächtiger als der Neffe des Rheinfelders. Trotzdem sagte ich: »Gott der Allmächtige hat seine eigenen Wege, Übeltäter zu bestrafen, mein König. Jene, die Böses planen, fangen sich oft selbst in der eigenen Falle.«
Und damit meinte ich nicht Anno von Köln, sondern Adalbert von Bremen und Graf Werner. Wieder einmal sollte sich dieser Satz bewahrheiten, und zwar schneller als gedacht.
Doch kehren wir zurück ins Jahr der Schwertleite. Nach dem Fest in Worms und unserer Rückkehr auf die Burg in Rhein erreichte das Haus Rheinfelden frohe Kunde. Rudolfs Bruder Adalbero, Mönch im Kloster St. Gallen, war dank einer großen Menge Gold und Silber neuer Bischof von Worms geworden, Nachfolger des allseits verehrten Arnold von Worms. Ich hatte Adalbero einmal von weitem gesehen, als er seinen Bruder auf der Burg im Rhein besuchte.
Ich selbst musste als verkrüppelter Zwerg schon mit der besonderen Aufmerksamkeit meiner Mitmenschen zurechtkommen. Doch der Bruder des Herzogs war von noch größerer Monstrosität. Er hatte ein lahmes Bein, hinkte deshalb, war stark wie ein Bär, überaus gefräßig und so
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