Waldos Lied (German Edition)
zierlichen Füße, die Heinrich voll Zuneigung und doch mit sorgenvollen Augen musterte. Ich wusste, wer sie war: Mathilde von Canossa-Tuszien, eine Kusine zweiten Grades, die einzige überlebende Tochter des ebenso grausamen wie mächtigen Markgrafen Bonifaz und seiner Gemahlin Beatrix. Der Markgraf war übrigens genauso gewaltsam gestorben, wie er gelebt hatte. Die junge Mathilde weilte mit ihrer Mutter oft als Gast bei Hofe. Einst waren die beiden als Geiseln zu Heinrichs Vater, Kaiser Heinrich III., gekommen. Aber es hatte sich mehr daraus entwickelt. Es gab sogar Gerüchte, wonach es zwischen Heinrich und ihr — gewisse — Gefühle gäbe, obwohl Mathilde etwa vier Jahre älter sein mochte als ihr Vetter. Doch die Verwandtschaft der beiden war zu eng, an eine eheliche Verbindung war nicht zu denken. Außerdem sollte Mathilde ihren Stiefbruder heiraten. Alle nannten Gottfried IV. von Oberlothringen nur den Buckligen und fanden ihn äußerlich noch abstoßender als seinen Vater Gottfried III., den zweiten Mann von Mathildes Mutter. Eine interessante Familie also und immer wieder neuer Gesprächsstoff für die Dienstboten. Mir drängte sich in diesem Moment der Gedanke auf, dass an den Gefühlen Mathildes für den jungen Heinrich sogar etwas Wahres sein könnte. Denn immer wieder machte sie Anstalten, sich ihm zu nähern. Ihr zwar nicht schönes, aber doch angenehmes Gesicht wirkte unruhig. Doch ihre Mutter hielt sie mit eisernem Griff am Arm fest. Damals ahnte noch niemand, dass dieses anmutige junge Mädchen in den dunkelsten Stunden des Königs einst eine entscheidende Rolle spielen sollte.
Mathilde lächelte mir zerstreut zu, als ich ihre Füße nur knapp verfehlte und mich wieder aus ihrem prächtigen Gewand wickelte. Ihre Mutter bedachte mich jedoch zischend mit einem verächtlichen »Tölpel!«.
Auch eine noch so liebende Mathilde hätte Heinrich jetzt nicht mehr aufhalten können. Seine dunkelbraunen Augen sprühten vor Wut, in seiner Stimme lag triefender Hohn. »Und was tatet Ihr, werte Frau Mutter? Ihr hörtet auf den Rat Eures Euch sehr vertrauten und besonders geliebten Freundes, des Bischofs Heinrich von Augsburg, statt Euer eigen Fleisch und Blut zu schützen. Wie Ihr doch überhaupt allzeit sehr eng mit diesem Manne zu verkehren schient. So eng, dass Uns und Unseren Fürsten am Ende nichts anderes übrigblieb, als ihn vom Hofe zu verbannen. Das Schicksal Eures Sohnes scherte Euch nicht. Habt Ihr Uns zurückgefordert, mit dem Schwert um Uns gekämpft, wie es nach dem Übereinkommen der Völker Euer gutes Recht gewesen wäre? Nein, Ihr überließet den Sohn Kaiser Heinrichs den Verrätern. Der Allmächtige gebietet Uns in seinen Geboten an Mose, die Eltern zu achten. Achten und schonen wollen Wir Euch also, aber nicht jene, die Uns diese Kränkung zufügten. Insbesondere Otto von Northeim und diesen hier, Erzbischof Anno von Köln.«
Rudolf von Rheinfelden sprach leise auf den König ein. Doch Heinrich schüttelte nur missmutig den Kopf. Die Männer rückten enger zusammen, das Gemetzel schien nicht mehr aufzuhalten zu sein.
Da hielt es mich nicht länger auf meinem Platz. Ich ertrug es nicht, mit anzusehen, wie sich der König des deutschen Reiches von Männern mit niedrigen Beweggründen zu mörderischen Taten verleiten ließ. Ehe mich jemand aufhalten konnte, riss ich meinem Nebenmann das Schwert aus der Scheide und stürzte nach vorn mit einer Waffe, die fast größer war als ich selbst. Da brachte mich das Schwert ins Stolpern, und ich stürzte direkt vor die Füße Heinrichs. Ich weiß nicht, wer mir die folgenden Worte eingab, doch noch im Fallen rief ich, so laut ich konnte. »So wird es jedem ergehen, der das Schwert gegen den König erhebt. Hört auf Waldo den Zwerg, den Wahrsager Rudolfs von Rheinfelden. «
Die Männer zogen sich zurück, als ob ich die Pest hätte. Heinrich stand da mit dem Schwert in der Hand, völlig verblüfft über die plötzliche Wendung der Dinge. Es herrschte Grabesstille. Manch einer seiner Waffengefährten bekreuzigte sich, ebenso wie einige Männer des Bischofs Anno von Köln. Ich nutzte diesen Moment und stand wieder auf. Mein Schwert lag noch zu Füßen des Königs. Dann verneigte ich mich tief. »Herr und König von Gottes Gnaden, hört auf einen der geringsten unter Euren Dienern. Entweiht nicht diesen Tag mit Blut. Denn eine Herrschaft aus eigenem Recht, die mit Blut beginnt, wird auch in Strömen von Blut untergehen. Das sagt Euch Waldo von St.
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