Waldos Lied (German Edition)
dick, dass er allenthalben eher Entsetzen als Bewunderung hervorrief. Kein hundertarmiger Gigant, kein anderes Scheusal des Altertums hätte die Augen und die Blicke des staunenden Volkes so stark auf sich gezogen, wie es Adalbero von St. Gallen tat.
»Die Ernennung meines Bruders zum Bischof haben wir auch deinem beherzten Eingreifen bei der Schwertleite zu verdanken, Waldo. Das ist die Art Heinrichs, seine Gunst für erwiesene Hilfe zu zeigen«, sagte der Herzog, als ich ihm die Botschaft vorlas, die uns der neue Bischof von Worms übersandt hatte. Denn wie so viele der Fürsten konnte Rudolf weder lesen noch schreiben.
Ich ließ ihn in dem Glauben. Doch ich war inzwischen insgeheim davon überzeugt, dass Heinrich am Tag seiner Schwertleite eigentlich überhaupt nicht kämpfen wollte und die königliche Waffe nur zog, weil er von bösen Zungen dazu aufgestachelt worden war. Mein kläglicher Auftritt hatte ihm die Möglichkeit gegeben, den Kampf zu beenden, noch bevor er ausgebrochen war, ohne das Gesicht zu verlieren.
Auch für mich selbst gab es im Jahr der Schwertleite eine überraschende Botschaft. Sie kam vom König selbst, wenn auch nur indirekt und in Form einer Urkunde. Zumindest glaube ich, dass Heinrich damit nicht nur den Herzog von Rheinfelden ehren, sondern auch mir ein Zeichen seines Wohlwollens geben wollte. In der Urkunde wurde der Abtei St. Blasien der Besitz der einstigen Cella Alba bestätigt. Das Pergament führte die Grenzen genau auf. Der Feldberg und der Schluchsee waren einige der genannten Markierungspunkte. Dazu kam ein Gebiet bei Haltingen, das eigentlich vom Bischof von Basel stammte, sowie Besitz in Brunnadern, in Ober- und Unterwangen. Dies alles gehörte nun durch Heinrichs Wort und Gunst zum Zwing und Bann, zur Grundherrschaft der Abtei, wo nur das Gebot und Verbot von St. Blasien galt. Doch das Wichtigste an dieser Urkunde war das Immunitätsprivileg, das Heinrich St. Blasien gleichzeitig verlieh.
Der Urkunde beigelegt war noch eine weitere Nachricht des Königs, die für große Verwirrung unter meinen Brüdern in St. Blasien sorgte, die mir Abt Warinharius dennoch getreulich durch einen der Brüder überbringen ließ. Es war ein mehrfach gefaltetes Pergament mit nur wenigen Zeilen, ohne das Siegel Heinrichs. In ihm fand sich ein kleiner, goldener Ring, mein erster eigener Besitz. Doch viel wertvoller als dieser Ring waren für mich die wenigen beigefügten Zeilen:
»Wir, Heinrich, König von Gottes Gnaden, entbieten hiermit Waldo von St. Blasien Unseren Gruß. H.«
Die Nachricht über die Botschaft des Königs an Zwerg Waldo verbreitete sich schnell wie der Wind unter dem Gesinde der Burg. Alle begegneten mir von da an mit größerer Achtung, und auch Herzog Rudolf erwies mir mehr Ehre. Ich bekam sogar in der großen Halle, in der die meisten Vasallen des Herzogs schliefen, einen eigenen Bereich. Und er schenkte mir eine zierliche, sanfte Stute, die fortan in der Ecke des Pferdestalls stand, in der ich so lange gehaust hatte. Ich nannte sie Praxeldis. Wenn sie mit ihren weichen Nüstern voller Zuneigung an meiner Kutte knabberte, drückte mich die Einsamkeit nicht mehr, die schwer auf meinem Herzen lastete.
»Du hast viel für das Geschlecht der Rheinfelder getan, Waldo. Deshalb sollst du an meinem Hofe künftig gut gehalten werden und einer meiner Berater sein«, hatte der Herzog mir erklärt. Er fragte mich sogar, ob ich einen besonderen Wunsch hätte. Ich bat um die Abschrift eines Pergamentes über die Deutung der Sterne, das in der Bibliothek der Abtei St. Blasien aufbewahrt wurde. Rudolf gewährte mir diesen Wunsch, und ich kam mir vor wie ein gemachter Mann und glaubte, das Glück werde mir von nun an immer an meiner Seite sein. Ich hatte noch viel zu lernen.
Einige Wochen später befahl mich die Herzogin zu sich. Es geschah nicht mehr so oft wie früher, dass sie mich sehen wollte. Adelheid von Rheinfelden hatte sich mit ihren Frauen mehr und mehr in die inneren Gemächer zurückgezogen.
Bei ihr war nun auch Reginlind, die Gemahlin des ältlichen Grafen Werner von Habsburg, ein fröhliches Mädchen mit lachenden Augen. Der Graf war ein Verwandter Rudolfs und hatte der herzöglichen Familie seine um viele Jahre jüngere Gemahlin anvertraut, denn er wollte noch eine Zeitlang am Hofe Heinrichs bleiben. So war sie im Gefolge der Herzogin mit uns zurück zur Burg auf dem Stein gereist. Die junge Reginlind schien Adelheid gutzutun. Denn wenn ich die Herzogin in diesen
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