Waldos Lied (German Edition)
Doch hörten sie sofort auf, als ich mich umwandte und mit gerunzelter Stirn einen nach dem anderen musterte.
Wir waren zu zehnt im Scriptorium. Es war kühl und leicht dämmrig im Raum, trotz der Sonne, die draußen schien. Die Brüder wirkten in dem diffusen Licht und in ihren dunklen Mönchsgewändern fast wie unwirkliche Geister. Verlegen beugten Sie sich wieder über ihre Pergamente. Es gab viel zu tun. Abt Hugo hatte uns einige wertvolle Schriften gesandt, die wir nun voller Liebe und Sorgfalt kopierten, um unsere Bibliothek zu vergrößern, was auch zu meinen Aufgaben gehörte.
Zwischen mir und dem Abt von Cluny hatte sich eine rege Korrespondenz entwickelt. Abt Giselbertus förderte diesen Austausch nach Kräften. Auch er hegte große Bewunderung für diesen gelehrten und gütigen Mann, der seine Mönche und sein Kloster nach den Regeln des heiligen Benedikt in Demut, Keuschheit und Armut führte. Immer mehr Mönchsgemeinschaften wurden in diesen Tagen Teil dieser Bewegung. Man nannte sie die cluniazensische Reform — nach jenem Kloster, dem Abt Hugo so würdig vorstand. Zwischen Cluny und St. Blasien gab es bereits seit der Zeit von Abt Warinharius einen Verbrüderungsvertrag. Der ehrwürdige Vater Hugo von Cluny hatte St. Blasien bei einem Besuch selbst kennengelernt.
Viele einflussreiche Männer erörterten damals diese Reform — und noch eine andere Frage. Eine Frage, die an den Grundpfeilern der Welt rüttelte, die wir kannten. Bisher hatte Heinrich als König von Italien den Papst nach seinem Willen bestimmt und eingesetzt. Nun wollte die römische Kurie aus eigenem Recht selbst bestimmen, wer auf dem Apostolischen Stuhl saß.
Ich hatte nicht gehört, dass jemand ins Scriptorium getreten war. Da legte sich eine Hand schwer auf meine Schulter. Ärgerlich darüber, erneut aus meinen Gedanken gerissen worden zu sein, wandte ich mich noch nicht einmal um. Denn ich kämpfte gerade mit einer lateinischen Formulierung. Ich erinnere mich noch gut. Ich schrieb an Hugo von Cluny, der Glaube müsse sein wie ein Haus: fest verankert in der Erde der Demut, der Bescheidenheit und der Besonnenheit. Nur dann könne er den Stürmen in diesen Zeiten trotzen.
Mein Verhalten an diesem Tag entsprach dieser löblichen Überzeugung jedoch in gar keiner Weise, wie ich zu meiner Schande gestehen muss. »Könnt Ihr Euch nicht bemerkbar machen, wie es sich geziemt? Was schleicht Ihr hier herum auf leisen Sohlen und erschreckt einen Mann, der tief in seine Arbeit versunken ist?« knurrte ich verdrießlich, die Augen noch immer auf das Pergament geheftet.
»Ich hatte auf eine andere Begrüßung gehofft. Aber nun, da du Mönch und Leiter des Scriptoriums geworden bist, fühlst du wohl nur noch Verachtung für alle außer deinem himmlischen Herrn. Dabei bin ich gekommen, um eine Schenkung an dieses Kloster mit dir vorzubereiten. Du solltest mich also freundlicher empfangen, Waldo von St. Blasien. Lass also ab von diesen Schriftstücken. Es gibt Wichtiges für dich zu tun.«
Beim Klang dieser Stimme fuhr ich herum, als hätte mich eine Wespe gestochen. Hinter mir stand unser weltlicher Herr, Rudolf von Rheinfelden, der Herzog von Schwaben. Äußerst verlegen meiner rüden Worte wegen, verneigte ich mich vor ihm, wie es Sitte ist. Dann starrte ich ihn verwirrt an. Etwas war anders an diesem Mann seit seiner Rückkehr aus Rom. Ich hatte schon von der Veränderung gehört, es aber nicht glauben wollen.
Es war nur schwer herauszufinden, worin sie bestand. Vielleicht lag es an seinen Augen. Sie wirkten weniger hart und dennoch entschlossen. Aber auf eine ganz andere Art als zuvor. Als wäre aus einem Menschen, der sich von einem Kampf zum anderen, von einer Begierde zur nächsten hatte treiben lassen, ein Mann geworden, der genau wusste, was er wollte. Es war nur ein Eindruck, so wenig greifbar wie der Morgennebel über einer Wiese. Doch ich konnte ihn nicht abschütteln. Ebensowenig wie meine inneren Vorbehalte gegen ihn. So klang meine Antwort eher kühl. »Seid willkommen, Herr. Sagt mir, was ich schreiben soll.«
Rudolf lachte. Auch dieses Lachen war anders als das, was ich kannte. Es kam tief aus seinem Bauch, fast unbefangen.
»Waldo, Waldo, nun scheinst du also nicht mehr der Zwerg des Herzogs zu sein, sondern einer, der im Dienste des Allmächtigen hochnäsig geworden ist. Früher war es einfacher, dein Wohlwollen zu gewinnen. Doch hüte dich zu urteilen, wo gar kein Urteil gefragt ist.« Die letzten Worte enthielten
Weitere Kostenlose Bücher