Waldos Lied (German Edition)
beruhigen.
Schließlich fasste er sich ein Herz und kam zur Sache. »Ich will mich bei dir entschuldigen, Waldo. Auch wenn es mir nicht leichtfällt. Ich weiß, meine ungehobelte Art hat dich mehr als einmal verletzt und mein Spott über dein Aussehen hat dich gekränkt. Vielleicht habe ich mich deshalb so oft über dich lustig gemacht, weil du etwas hast, das ich nicht habe. Ich kann es nicht genau benennen. Möglicherweise ist es dein scharfer Verstand, der so oft Dinge begreift, die dir niemand gesagt haben kann. Meine Gedanken sind wie die eines Stieres, der seinen Feind entdeckt hat und wütend auf ihn losstürmt, mit nichts anderem vor sich als ebendieses Ziel. Bei dir ist das anders. Du bist beweglich nach allen Seiten, wo ich nur in eine Richtung denken und handeln kann, ganz gefangen in meinen Absichten. Ich glaubte lange nicht, dass ein Körper wie der deinige einen solchen Geist beherbergen könnte. Ich sah nur dein Äußeres. Vielleicht war ich aber auch nur eifersüchtig. Weil die Herzen der Menschen dir zufliegen, ohne dass du dich sonderlich darum bemühst. Weil sie dir vertrauen. Weil ich niemals so sein kann wie du, obwohl ich nach dem König der zweite Mann im Reich bin und du nichts als ein Knecht, der seine Herkunft noch nicht einmal kennt. Doch manchmal ist mein Geist wie dein Körper und mein Körper wie dein Geist. Warum richtet es das Leben nur so ein, dass beides so selten zusammenpasst? «
Ich wusste zuerst nicht, was ich darauf sagen sollte. Noch niemals hatte jemand so zu mir gesprochen. Und nun ausgerechnet Rudolf, von dem ich es am wenigsten erwartet hätte. Er lobte mich, der ich kein Lob verdient hatte. Das wusste ich nur zu gut. Doch seine Offenheit verdiente auch die meine.
»Herr, Ihr findet mich zutiefst überrascht über Eure Worte. Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll. Ihr haltet mich für besser und klüger, als ich wirklich bin. Ich kämpfe nur zu oft mit meinem eigenen Schatten. Obwohl er nur so kurz ist«, fügte ich lachend an. »Ehrlich gesagt, eigentlich bin ich mir selbst oft der schlimmste Feind.«
Rudolf stimmte in mein Lachen ein. »Nun, dann haben wir ja doch einiges gemeinsam.« Er zögerte. Dann sprach er fast atemlos weiter. »Mir ist an deiner Treue und Freundschaft viel gelegen, Waldo. Ich glaube, dass du mir helfen kannst, vor Gott ein besserer Mensch zu werden. Während meines langen Besuches in Rom und den vielen Gesprächen mit dem gütigen Papst Alexander wurden mir die Augen geöffnet. Ich erkannte, dass ich sterblich bin und mit dem Allmächtigen ins reine kommen muss. Bei der derzeitigen Unruhe und der Unzufriedenheit in großen Teilen des Reiches ist der Krieg schon mit Händen zu greifen. Abt Giselbertus hat mir erlaubt, bei dir die Beichte abzulegen. Würdest du mir zuhören, wenn ich dich darum bitte?«
Ich nickte, völlig überwältigt und aus der Fassung gebracht, doch gelang es mir, mich zu beherrschen.
Das unauflösliche Geheimnis der Beichte verbietet es mir, mehr über das zu sagen, was ich nun hörte, als dieses: Der Herzog offenbarte sich mir als ein zutiefst zerrissener Mensch. Trotz seiner Machtfülle war er voller Selbstzweifel — und sehr einsam. Er hatte vieles gewagt, üble Verbrechen begangen und tiefes Leid geschaffen. Was er mir aus seinem Leben berichtete, trieb mir mehr als einmal einen Schauer des Entsetzens den Rücken hinunter. Und der einzige Zuchtmeister, den er hatte, war seine innere Stimme. Ich wusste von mir selbst, wie leicht es ist, sein Gewissen zum Schweigen zu bringen.
Und so spendete ich ihm nach der Beichte den Segen des Herrn, ohne Vorbehalt in meinem Herzen. An diesem Tag erlosch mein Hass auf diesen Mann und kehrte niemals wieder.
Herzog Rudolf und ich saßen danach noch lange an diesem Ort. Er bat mich darum, seine Gemahlin bei ihrer Rückkehr zu begleiten und sie in seinem Namen um Verzeihung zu bitten.
Doch das war nicht der einzige Grund, warum ich nach Fruttuaria reisen sollte. Rudolf wollte St. Blasien in ein Benediktinerkloster umwandeln.
»Bring die Klosterreform auch hierher zu uns, Waldo«, bat er mich. »Kopiere die Ordensregeln. Schaue dir an, wie die Mönche in Fruttuaria leben, damit wir es auch hier auf die richtige Weise tun können. Wenn sich die Menschen später einmal an mich erinnern, dann sollen sie sagen: Siehe, bei allem, was er an Unrecht tat, Rudolf von Schwaben war auch der Mann, der die Klosterreform nach St. Blasien brachte. Du wirst zusammen mit den Brüdern
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