Waldos Lied (German Edition)
erreichten, waren die Beratungen schon in vollem Gange. Überall gingen Gerüchte um. Und alle ähnelten sie den Vermutungen Herzog Rudolfs: König Heinrich plane keinen Feldzug gegen die Polen und Liutizen, sondern wolle nichts anderes, als in Sachsen einzufallen. Viele der Fürsten waren gegen diesen Plan. Sie wollten ihre Männer nicht in einen Kampf schicken, der so offenkundig gegen jedes Recht war. Ganz Goslar war voll von Geschichten darüber, wie schrecklich die königlichen Truppen bereits im Land der Sachsen hausten.
Der König war sehr verstimmt darüber, dass die meisten Bischöfe, Herzöge, Grafen und anderen Edlen, die nach Goslar gekommen waren, seinen Plan nicht billigten, und zog sich zornig zurück. Am nächsten Tag sollte weiterverhandelt werden. Außerdem wollte Heinrich dann auch die Abgesandten der Sachsen anhören, die mit vielen Klagen zu ihm gekommen waren.
Aber am nächsten Tag verließ der König nicht einmal seine Gemächer. Über Stunden hinweg warteten die Mächtigen des Reiches auf sein Erscheinen. Unter ihnen waren auch viele Fürsten der Sachsen, die Heinrich unter dem Vorwand des Polenfeldzuges ebenfalls nach Goslar befohlen hatte. Der König erschien jedoch nicht, und ihre Mienen wurden immer düsterer. Schließlich wurde bekannt, warum Heinrich nicht kam. Er saß in seinen Gemächern und würfelte mit seinen Höflingen.
Das brachte den Kessel zum Überkochen. Einige der Fürsten reisten sofort zornig ab. Andere wüteten gegen den König, erzürnt über diese Beleidigung.
»Wenn Heinrich seinen Willen nicht bekommt, benimmt er sich wie ein verzogener Junge. Und das nennt sich König. Dabei wäre der letzte Bauer ein besserer König als er. Es wird Zeit, dass ein anderer, Würdigerer diesen Thron besteigt.« Ich hatte so gefesselt dem Sturm der Entrüstung unter den Fürsten zugeschaut, dass ich überhaupt nicht bemerkt hatte, dass Otto von Northeim an meine Seite getreten war.
»Seid gegrüßt, Herr«, antwortete ich deshalb schnell und verbeugte mich.
»Sei gegrüßt, Waldo von St. Blasien. Wie mir der Zähringer berichtete, hat Rudolf dich jetzt nicht nur zu seinem Gewissen gemacht, sondern auch zu seinen Augen und Ohren.«
»Mein Herr zog es vor, nicht hier zu erscheinen«, erwiderte ich wahrheitsgemäß.
Otto von Northeim lachte schallend und schlug mir mit einer derartigen Kraft auf die Schulter, dass mir Hören und Sehen verging. »Daran tut er auch gut. Obwohl es hier viele gibt, die auf ihn setzen.«
»Wie meint Ihr das, Herr? «
»Nun, ganz einfach. Es gibt eine große Anzahl von Fürsten, und damit meine ich besonders die Sachsen, die glauben, dass Rudolf der einzige unter ihnen ist, der die Macht und die Mittel hat, diesen König aufzuhalten, bevor er das Reich noch völlig ins Unglück stürzt. Wenn man so will, sehen sie in ihm ihren Anführer.«
»Es klingt, als würdet Ihr von einer Verschwörung sprechen. «
Wieder lachte Otto von Northeim. Doch dieses Mal klang es drohend. »Lass es mich so ausdrücken, Waldo von St. Blasien: Es ist ein Zusammenschluss von redlichen Männern, die das Reich vor diesem Irrsinnigen retten wollen, der auf dem Thron sitzt. Nun, da Rudolf dich schon herschickte: Komm nach Hoetensleben. Ich werde dir einen Boten senden, wenn es an der Zeit ist. Dort wirst du einige von denen kennenlernen, die auf deinen Herzog hoffen. Mein Freund Rudolf von Rheinfelden wird sicherlich wissen wollen, was dort besprochen wird. Es wird gewiss auch von ihm die Rede sein.« Noch einmal dieses Lachen. »Der Herzog von Schwaben ist ein Fuchs. Er weiß, was gut für ihn ist. Zum Beispiel, dass er sich in seiner Lage besser nicht bei jenen sehen lässt, die vermeintlich einen Aufruhr anzetteln. Und wahrscheinlich hätte er keinen Besseren als dich stattdessen schicken können. Du bist nur ein einfacher Mönch. Niemand wird es nach der Versammlung auch nur der Mühe für wert halten, zu berichten, dass du dabei warst, Waldo von St. Blasien. Die, die kommen, sind zumeist bekannter als du.« Mit diesen Worten entfernte er sich, noch immer lachend.
Ich hätte es wissen müssen, sagte ich zu mir selbst. Während Rudolf so tat, als suche er meinen Rat, hatte er mich geschickt in die Richtung gelenkt, in der er mich haben wollte. Er musste geahnt haben, dass es ein solches Treffen geben würde. Oder sogar gewusst. Langsam begann ich zu glauben, dass der Herzog von Schwaben doch nicht so königstreu war, wie er sich immer den Anschein gab. Dass er durchaus
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