Waldstadt
zu haben, der alles aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Das wird unsere Ermittlungen doch nur beschleunigen. Wenn man eine Arbeit so lange macht, wie wir beide, dann läuft man einfach Gefahr, betriebsblind zu werden.«
»Mich könnt ihr auch dazuzählen«, sagte Paul Wellmann, der eben hereinkam und die letzten Sätze mitbekommen hatte. »Wir gehören so langsam zum alten Eisen.«
»Keinesfalls, Paul, so habe ich das wirklich nicht gemeint.«
»Wenn man aber diesen Psychologen hört, dann ..«
»Jetzt seid doch nicht eingeschnappt, ihr beide«, versuchte Lindt, die Stimmung wieder etwas zu verbessern. »Bei der Fortbildung im letzten Herbst habe ich ihn erlebt. Zuerst war ich auch skeptisch, aber nach und nach konnte ich mich seiner Logik nicht mehr entziehen. Ich bin überzeugt, der versteht, wovon er spricht.«
»Solange er nicht auch noch die Leitung der SoKo übernimmt«, knurrte Willms und ging zur Tür.
»Einer aus dem Schwäbischen hier in Karlsruhe – niemals, ein Aufstand wäre sicher!«, rollte Paul Wellmann mit den Augen.
Das war zuviel für Lindt: »Also Paul, ausgerechnet du mit deinen norddeutschen Vorfahren«, schüttelte er den Kopf. »Und da sollen wir auf dem Weg ins vereinte Europa sein!«
Lindt war total erschöpft, als er gegen acht Uhr am Abend endlich nach Hause kam. Er schaffte es gerade noch, dem jungen Lehrer aus dem Dachgeschoss schöne Ferien zu wünschen, als der im Treppenhaus an ihm vorbeiging.
»Ach ja, Lehrer müsste man sein«, seufzte er, und drückte Carla ein Begrüßungsküsschen auf die Stirn. »Dann hätte ich jetzt sechs lange Wochen frei und müsste mich nicht mit einem arroganten Psychologen und einer Herde eingeschnappter Kollegen rumärgern.«
»Dann hast du wohl den falschen Beruf gewählt, Oskar«, strich Carla ihm fürsorglich über die Wange. »Aber vor ein paar Monaten warst du doch noch der Ansicht, Lehrer zu sein, wäre nichts für dich – ›sich mit den dummen Kindern anderer Leute rumzuärgern‹.«
»Schön hat ers trotzdem. Ich muss den ›Waldstadt-Würger‹ fangen und der kann jetzt sorglos in der Welt rumreisen.«
»Als Erstes fährt er mal in den Schwarzwald zu seiner Mama«, stellte Carla fest. »Das ist ja bestimmt nicht die große weite Welt.«
»Ach, du hast mit ihm gesprochen?«
»Nur ganz kurz auf der Treppe.«
»Sag mal, willst du dich nicht bei uns bewerben, da könntest du den ganzen Tag Leute ausfragen«, stichelte Oskar, aber ein unwiderstehlicher Geruch zog ihn fast magisch in die Küche.
Knoblauch, getrocknete Tomaten, Olivenöl und eine Mischung italienischer Kräuter dufteten aus einer Schüssel mit Nudelsalat. Er konnte nicht widerstehen und musste sofort eine Gabel voll probieren.
»Hui, mit Chili hast dus anscheinend gut gemeint, ganz schön scharf!«, sog er laut hörbar die Luft ein.
Besorgt sah er Carla an, als sie wenig später zusammen auf dem Balkon saßen und beobachteten, wie die Lammkoteletts auf dem Elektrogrill brutzelten.
»Wenn es dunkel wird, fährst du mir auf keinen Fall mehr alleine durch den Wald.«
»Und tagsüber?«, wollte sie wissen.
»Bis jetzt hat er immer die Dunkelheit gesucht.« Nachdenklich rieb sich Oskar Lindt die Stirn.
»Ich kann mich nicht erinnern, dass du in den letzten 30 Jahren mal Migräne gehabt hättest«, zweifelte der Kommissar am nächsten Morgen Ludwig Willms’ telefonische Krankmeldung an. »Das soll ich dir glauben?«
»Glaub doch, was du willst, ich kann auf jeden Fall nicht mitkommen, mit diesem, diesem …«
»Ach, daher weht der Wind, du weigerst dich, bei der Tatortanalyse etwas dazuzulernen«, stichelte Lindt in den Hörer. »Jetzt haben wir schon mal eine Koryphäe hier bei uns, so einen richtigen Profiler wie aus den amerikanischen Fernsehserien, und der Chef der Karlsruher Kriminaltechnik will sich drücken.«
»Die Akten könnt ihr ja bei uns abholen«, legte Willms kurz angebunden auf und Lindt sah ihn ein paar Minuten später aus dem Hof des Präsidiums fahren.
»Kleine Besetzung«, grinste Claus Eschenberg, als lediglich Lindt und Wellmann beim Dienstwagen auf ihn warteten.
Der Kommissar aber beschloss, gar nicht weiter auf das Thema einzugehen, und startete den dunkelroten Citroën in Richtung Stutenseer Allee.
Die Tatorte waren zwar nicht mehr abgesperrt, aber es bereitete den Ermittlern keine Mühe, die Örtlichkeiten wiederzufinden und alle Einzelheiten genau zu erklären.
Überraschenderweise war der Psychologe ziemlich wortkarg.
Weitere Kostenlose Bücher