Waldstadt
und wandte sich an Eschenberg: »Wenn das stimmt, dann brauchen wir sofort eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei, um permanent im Wald Streife zu fahren.«
»Das ist doch gar nicht zu machen«, meldete sich der Dienststellenleiter des Polizeireviers Waldstadt zu Wort. »Der Hardtwald lässt sich niemals dauernd und flächendeckend überwachen.«
»Getarnte Posten, Nachtsichtgeräte, Hubschrauber, Wärmebildkameras«, konterte Sternberg mit dem Vorschlag eines Großeinsatzes modernster Technik, doch Oskar Lindt musste seinem Kollegen von der Schutzpolizei recht geben: »Der Hubschrauber nützt uns gar nichts, denn wir können nicht jeden hellen Punkt, den er mit seiner Kamera ausmacht, auch noch kontrollieren. Oder willst du Nacht für Nacht Hunderte von Radfahrern, Joggern und Hundebesitzern einer Leibesvisitation unterziehen. Guten Abend, haben Sie vielleicht eine Drahtschlinge dabei oder eine schwarze Maske in Ihrer Hosentasche?«
»Und wenn ich mir überlege«, meldete sich Paul Wellmann, »wie viele dunkle Ecken es im ganzen Stadtgebiet gibt – tausende von Möglichkeiten, eine weitere Tat nach demselben Muster zu begehen. Es muss ja nicht immer der Hardtwald sein.«
»Am ehesten kommen wir ihm mit einem genauen Täterprofil auf die Spur«, begann Eschenberg wieder und überhörte lächelnd eine respektlose Bemerkung von Jan Sternberg. Dessen etwas zu laut geflüstertes »Waldstadt-Würger mit FBI-Methoden zur Strecke gebracht« trug dem jungen Beamten dennoch einen strengen Seitenblick von Oskar Lindt ein.
Der Psychologe ließ sich nicht beirren und skizzierte mit wenigen Sätzen ähnlich gelagerte Fälle von Serienmördern. »Die meisten sind übrigens Männer. Der Anteil von Frauen macht keine fünf Prozent aus.«
»Dass wir lieber Gift nehmen, ist schon seit Agatha Christie und Ingrid Noll bekannt«, kommentierte die blonde Kommissarin von der Sitte Eschenbergs Aussage.
»Genau, Frauen morden sanfter. Hier müssen wir über einen kräftigen Mann nachdenken, der unter einer tiefgreifenden Persönlichkeitsstörung leidet.«
»Ach, mal wieder die schwere Kindheit!« Sternberg konnte sein vorlautes Mundwerk doch nicht halten und fing sich dafür von Paul Wellmann einen schmerzhaften Rippenstoß ein.
»Lassen Sie nur Ihren jungen Kollegen. Damit liegt er in vielen Fällen genau richtig. Traumatisiert in der Jugend, im Rausch vom gewalttätigen Vater grün und blau geprügelt. Vielleicht bringt die alleinerziehende Mutter jede Nacht einen anderen Mann mit nach Hause oder sie hat Depressionen und erhängt sich auf dem Dachboden. Unsere Fachliteratur ist voll von solchen Beispielen. Das hinterlässt tiefe Spuren in den Seelen der Kinder. Viele kommen ins Heim oder werden früh kriminell. Allerdings haben diese Täter dann eher eine geringe Schulbildung und leben auch als Erwachsene am unteren Rand der Gesellschaft.«
»Sie halten unseren Täter also für intelligent?«, folgerte Paul Wellmann.
»Tendenziell schon«, antwortete der Psychologe zögernd. »Dennoch eine gewisse Neigung zur Gewalttätigkeit, aber um weiter zu kommen, muss ich auf jeden Fall zu den Tatorten.«
Sie vereinbarten einen Termin für den nächsten Morgen und beendeten die Besprechung.
Ludwig Willms allerdings fühlte sich durch Eschenbergs Wunsch nach einer Tatortanalyse an seiner Ehre gepackt und folgte Lindt in dessen Büro.
»Oskar, da oben wollte ich nichts sagen, aber hier hört es ja keiner. Jetzt arbeiten wir doch schon so viele Jahre zusammen und haben die schwierigsten Fälle gemeinsam gelöst. Sag mal, glaubst du denn, der sieht am Tatort mehr als meine erfahrene SpuSi-Truppe? Zweifelst du denn an uns oder warum hast du diesen eingebildeten Kerl hergeholt?«
Lindt sagte erst einmal gar nichts und schenkte zwei große Becher Kaffee voll.
»Setz dich, Ludwig, und atme ruhig durch. Ich habe schon befürchtet, dass dir der Eschenberg nicht so zusagt. Gut, auf den ersten Blick könnte man ihn für hochnäsig halten, für eingebildet und arrogant. Ich weiß aber, dass er aus einer alten Tübinger Medizinerdynastie kommt. Viele Professoren, darunter auch einige Nervenärzte, und er arbeitet schon jahrelang als Psychologe.«
»Das sagt aber noch längst nichts über seine Fähigkeiten aus!«, stieß Willms hervor. »Es gibt genügend Akademikerclans, die sind nicht qualifiziert, sondern degeneriert!«
»Halt, halt, bitte nicht unsachlich werden. Für uns kann es nur von Vorteil sein, auch einen Spezialisten dabei
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