Waldstadt
Paolo faltete die Hände und streckte sie nach oben. »Ich doch nicht!« Er schien nur noch aus blauer Schürze zu bestehen, so zusammengesunken kauerte er auf seinem Dreibein.
»Rudi, du kennst mich doch«, raffte er sich zu einem kläglichen Hilferuf auf. »Ich helfe der Polizei, wo ich kann. Bitte Rudi, sag was.«
Doch bevor sein uniformierter Kollege antworten konnte, hatte Lindt auch nach einem Hocker gegriffen und sich auf die gegenüberliegende Seite des Tresens gesetzt. Er stützte seinen Ellbogen auf und reckte die offene Hand nach oben.
Paolo verstand nicht. »Was soll das?«
»Armdrücken, was sonst, wir beide gegeneinander.«
Zögernd schlug er seine schmale Hand in Lindts Hand und begann zu drücken. Mühelos rang ihn der Kommissar nieder. Auch beim zweiten und beim dritten Mal. Dann begann Paolo jedoch zu kämpfen. Sein Gesicht nahm schlagartig Farbe an und er drückte so stark, dass sich die Halsvenen wie kleine blaue Gartenschläuche nach außen wölbten. Tatsächlich schaffte er es, Lindts Hand nach unten zu bewegen. Erst kurz vor der Tischplatte hielt ihm der Kommissar stand und drückte wieder ein paar Zentimeter nach oben, doch dann musste er aufgeben.
»Unentschieden«, ächzte er und wie aus der Pistole geschossen: »Wo waren Sie zur Tatzeit?«
»Wer, ich?«, ganz verdattert stotterte Paolo. »Zu Hause bei meiner Frau natürlich, wie jeden Abend.«
»Wollen Sie in nächster Zeit verreisen?«
Der Italiener schüttelte den Kopf.
Lindt tippte ihm mit dem Zeigefinger auf die Brust und drückte ihn wieder auf seinen Hocker hinunter: »Bei Rudi abmelden, falls Sie die Stadt verlassen. Klar?«
»Wollten Sie ihn denn nicht mitnehmen?«, fragte die junge Kollegin den Chef der Karlsruher Mordkommission, als die Drei den Laden wieder verlassen hatten.
»Ich hab Ihren Griff zu den Handschellen gesehen«, kommentierte Lindt die Frage. »Rein nach Lehrbuch müssten wir ihn festnehmen, zumindest vorläufig. Das Alibi kann man vergessen und ganz so kraftlos, wie es scheint, ist er nicht. Seine südländische Ehre hat es wohl nicht zugelassen, immer nur besiegt zu werden. Aber trotzdem, warum hätte er das tun sollen? Ich sehe keinen hinreichenden Tatverdacht.«
Rudi Holzberger pflichtete ihm bei: »Für mich kommt er genauso wenig in Frage.«
Lindt sah ihn ernst an: »Ich war drauf und dran, ihn mitzunehmen. Der Staatsanwältin wäre das gleich recht gewesen, endlich ein Erfolg. Den hätte sie pressewirksam ausgeschlachtet.« Er schüttelte den Kopf: »Aber ich konnte es nicht, nein, dieser Paolo hat sicher nichts damit zu tun.«
Die Ermittlungsteams, die bei den stadtbekannten Umweltaktivisten auf den Busch klopften, waren ebenfalls wenig erfolgreich. Die Reaktionen der Befragten schwankten stark.
Die einen zeigten ein wenig Verständnis: »Klar, dass Sie bei uns nachfragen, wir sind ja dauernd im Hardtwald, schon alleine, um Aktionen gegen die geplante Nordtangente vorzubereiten.«
Andere reagierten sauer: »Unverschämtheit, was sollen wir denn damit zu tun haben?«
Ein pensionierter Oberstudienrat aber, auch bekannt als »das grüne Gewissen Karlsruhes«, bekam einen totalen Wutausbruch. Seit Jahrzehnten lieferte er sich einen persönlichen erbitterten Kampf mit der städtischen Bürokratie, konnte durchaus einige Erfolge erzielen, war bei Niederlagen aber leider nicht sehr frustrationstolerant und daher mit ständiger Gastritis gesegnet. Ob seiner Verbohrtheit und seines missionarischen Eifers in Umweltdingen hatte man ihn auch schon öffentlich »grasgrüner Scheuklappen« bezichtigt und so vermutete er hinter den polizeilichen Ermittlungen gleich intrigante Machenschaften der politischen Erzfeinde. »Das ist doch alles gesteuert, um mich persönlich in Misskredit zu bringen, nehmen Sie mich am besten gleich mit, in Handschellen, dann hol ich aber die Presse dazu!«
Lindt war verärgert, als er sich am nächsten Tag bei der Besprechung die Berichte anhörte, und knurrte drohend: »Ich hab doch gesagt, ihr sollt nur vorsichtig fragen, ob jemand was gesehen hat. Wenn das Ärger gibt, dann …!«
Jan Sternberg und Paul Wellmann konnten zwar auch keine Erfolge melden, waren in Forstkreisen aber wenigstens nicht auf derart krasse Reaktionen gestoßen.
»Fünf Förster haben wir befragt, keiner hat etwas mitbekommen«, berichtete Sternberg und Wellmann bestätigte: »Oskar, du hattest recht, die hängen zwar alle an ›ihrem‹ Revier, aber dass einer von denen ein Mordmotiv
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