Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
den Leuten.
Zur Nacht schlich der üble Markgänger spürend in die schöne Halle. Da lagen auf dem Estrich, behaglich auf Polstern gebettet, im Schlaf die Edelinge, welche die schmuckreiche Halle hüteten. Gierig raffte der scheussliche Riese dreissig der Schläfer und trug sie mit sich in seinen Bau.
Auf Freude folgte da Wehruf und Mordgeschrei in Heorot! – Die Fussspur des Unholds verfolgten sie bis an den verrufenen Sumpfwald, der über wildes Geklüft am Seestrand sich hinzog. Noch kein Lebender hatte sich dort hinein gewagt.
In der nächsten Nacht aber kam das Scheusal abermals und raubte noch mehr der Helden als zuvor. Bald flohen die meisten die schöne Halle; denn Grendel kehrte allnächtlich wieder und raffte schonungslos einen Helden nach dem andern dahin, bis die stolze Heorot leer stand. Zwölf Winter wütete er so voll Hohn und Feindschaft. Machtlos waren auch die Tapfersten gegen seine Riesenstärke. Nicht um Lösegeld gab er die Geraubten frei, noch schonte er ihres Lebens. Alt und jung ängstigte er, meuchelnd und mordend, wann er zur Mitternacht aus dem Nebelmoor aufstieg. Schwer lastete der Kummer auf dem König; gebrochnen Mutes sass er auf dem Hochsitz und raunte oft mit weisen Männern, ob sie Rat wüssten? Vergebens opferte er den Göttern in Hof und Heiligtum und rief ihren Beistand an wider den Würger. Jahraus, jahrein quälte den Herrscher die eine Sorge, und er wusste doch nicht das Weh von seinem Volke zu wenden. Bald wurde es lautbar; über der Dänen Mark hinaus drang die Kunde von dem Unhold.
II. Beowulf.
1. Die Ausfahrt.
Da hörte von Grendels Greueltaten, fern im Geatenreich, Beowulf, des Königs Hygelak Schwestersohn, und tapferster Degen. Er entstammte dem königlichen Geschlecht der Wägmunde in Schweden. Als siebenjähriger Knabe war er an den Hof seines mütterlichen Grossvaters, des Geatenkönigs Hredel, gekommen, der ihn mit seinen eignen Söhnen erziehen liess; er ward der Liebling seiner Gesippen und des Volks.
Nun befahl er, ein Schiff bereit zu machen; denn er wollte hinüberfahren zu Hrodgar, der eines Helden bedürfe. Vierzehn der kühnsten Geaten kor er sich zu Fahrtgesellen. Bald lag unter dem Hügel am Meeresstrand schaukelnd auf den Wellen das Schiff mit dem schön gebogenen Steven bereit.
Die Segelbrüder trugen eilend ihre Kriegswehr hin und bargen sie in dem weitbäuchigen Nachen. Ein seekundiger Lotse führte das Steuer. Da flog das halsumschäumte Schiff, vom Winde geschoben, wie eine Möwe über die Flut, bis zur selben Stunde des andern Tages die Seefahrer das Land erblickten; blinkende Seeklippen und ragende Berge dahinter. Die Fahrt war zu Ende, die Weigande stiegen auf den Strand, zogen das Schiff nach und seilten es fest. Dann trugen sie ihre Wehrkleider heraus, legten sie an und schritten erzklirrend landeinwärts.
2. Der Strandwart.
Da – vom Landwalle her – gewahrte der Schildinge Strandwart, der die Seeküsten hütete, die Helden, wie sie Schilde und Brünnen ans Land trugen. Er ritt hinab; den Wurfspeer in der erhobenen Hand wiegend, rief er sie an: "Wer seid ihr, brünnenbewehrte Waffenträger, die ihr auf umbrandetem Kiel übers Meer geschwommen seid? Als Strandhüter bin ich hier bestellt, dass kein leidiger Feind der Dänen landen mag. Nie zuvor sah ich Krieger unerschrockener landen! Schwerlich wisst ihr doch das Losungswort, noch habt ihr des Dänenkönigs Erlaubnis verlangt?" Und auf Beowulf deutend fuhr er fort: "Und nie sah ich gewaltigeren Kämpen als den einen; das ist kein Herdhocker, wenn nicht sein Antlitz trügt! Ich muss nun aber eure Herkunft wissen, ehe ihr gar als Späher ins Dänenland zöget. Darum gebt Bescheid!"
"Wir sind Geaten," antwortete ihm Beowulf, "Herdgenossen Hygelaks, unsers Königs. Beowulf heiss’ ich, Ekgtheows Sohn; Völker und Fürsten kannten ihn und weise Männer gedenken noch sein. Mit holdem Herzen suchen wir Hrodgar, deinen Herrn, auf. Gib du freundliche Auskunft, du musst es ja wissen, ob dem so ist, wie wir sagen hörten? Dass bei den Schildingen ein mitternächtiger Schadestifter in Hass und Bosheit Mordfrevel übt? Ich will Hrodgar Rat finden, ob er nicht den Unhold bezwinge und so der Frohsinn nach Heorot zurückkehre und des Königs Kummer beschwichtigt werde, oder ob er für immer diesen quälenden Druck tragen muss, solange er in seiner Halle sitzt."
Vom Ross herunter entgegnete der Buchtwart: "Wort wie Werk soll ein verständiger Kriegsmann verstehen. Holde Gäste seid ihr meinem
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