Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
Sand unter Ludwigs Hieben. Als Wate seines Königs Tod vernahm, tobte er wie ein Eber; in grossem Zorn fuhr er unter die Feinde.
Auch Ortwein und Horand wollten den Gefallnen rächen. Schon dämmerte die Nacht; ein Däne sprang mit gezücktem Schwert gegen Horand, ihn in der Dunkelheit für einen Feind haltend. Tot liess ihn der Sänger aufs Feld sinken; es war sein eigner Neffe; erst als er des Sterbenden Stimme hörte, erkannte er, wen er erschlagen hatte und hob traurig an zu klagen.
"Die Schlacht wird zum Mord!" rief Herwig. "Wir werden in der Dunkelheit Freund wie Feind erschlagen."
Da gaben die Hegelinge unfreudigen Herzens das Streiten auf; doch lagerten sie sich so nah den Feinden, dass sie deren Helme und Schilde im Widerschein der Zeltfeuer schimmern sahen.
Ludwig ersann eine List: "Tut, als ob ihr euch zur Ruh legtet auf eure Schilde," befahl er den Kriegsmännern, "und macht grossen Lärm dabei, dass die Feinde unserer Schiffe nicht achthaben; dann gelingt’s mir wohl, euch davonzuführen, wann jene schlafen."
Als die Frauen aufbrechen mussten, klagten sie mit Weheruf; doch sogleich verbot der König ihnen das laute Weinen und drohte, jede, die nicht davon lassen wollte, ins Meer hinabzustossen.
Durch solche List kamen die Normannen auf die See und entflohen, während die Hegelinge im Schlafe lagen. Als diese der Tag weckte, waren ihre Feinde schon weit. Sie erhoben sich; zu Fuss und zu Ross drängten die zusammengeschmolzenen Häuflein über den Ufersand gegen das verlassene Lager, den Normannen neuen Streit zu entbieten. Laut liess Wate sein Heerhorn gellen; da gewahrten sie, dass der Feind entflohen war. Wate wollte ihnen nach, aber Frute sprach, den Wind prüfend: "Was hülfe unser Eilen? Wohl dreissig Meilen sind sie schon fern, wir erreichen sie nimmer. Auch haben wir nicht mehr genug Leute, den Heerzug zu unternehmen. Bringt die Wunden an Bord und schafft die Erschlagenen von der Walstatt; bestattet sie auf dem wilden Sande."
"Auch die," fragte Irold, "die uns diesen Schaden getan? Oder wollen wir sie am Ufer liegen lassen, Wölfen und Raben zum Frass?"
"Keiner liege unbestattet," rieten da weise [Fußnote: Siehe das Kapitel ‘Die Götterdämmerung’] Männer. So begruben sie ihren treuen König Hettel und alle andern, welches Volkes und Landes sie waren.
Voll Besorgnis ritt Wate dann zum Hegelingenland; auf seiner Königin Huld durfte er wenig hoffen! Da die Leute ihn sahen, verzagten sie; wenn er sonst aus dem Streite heimkehrte, fuhr er mit lautem Schall; – nun ritt er schweigend mit seinen Heerleuten.
"Weh mir," rief Frau Hilde, "was ist geschehen? Zerbrochne Schilde tragen Watens Mannen, langsam gehen ihre Rosse, von herrenlosen Waffen schwer beladen; sagt an, wo ist König Hettel?"
Da ritt Wate in die Burg; das Ingesinde eilte ihm entgegen, nach Herren und Freunden zu fragen.
"Euer König und eure Freunde liegen tot," sprach Wate. Alt und Jung erschrak darob.
"Weh, meines Leides!" klagte die Königin. "Mit König Hettel ist meine Ehre von mir geschieden! Und Kudrun, mein Kind, seh’ ich nimmer mehr."
"Frau," sprach Wate, "lass das wilde Klagen; du rufst damit die Toten nicht wieder ins Leben zurück. Sind uns erst neue Männer hier erwachsen, dann rächen wir’s an Hartmut und Ludwig."
"Dürft’ ich das erleben!" antwortete die Trauernde, "alles, was mein ist, gäb’ ich darum, dass ich Rache erlangte und meine Tochter wiedersähe."
"Das kann erst geschehen, wenn unsre Kinder schwertreif geworden; denn wir sind zu wenige zum Heerzug; die meisten unsrer Kriegsleute blieben tot auf dem Wülpensand oder liegen siech an schweren Wunden. Gedulde dich, bis der Sohn des Vaters gedenkt und mit uns auszieht zur Rache.
4. Kudruns Gefangenschaft.
Günstiger Wind trieb die Normannen über die See der Heimat zu. Wie Ludwig seine Burg liegen sah, sprach er zu Kudrun: "Siehst du die Burg, Frau? Dort sollst du Freude geniessen. Willst du uns hold werden, so dienen dir reiche Lande."
Vieltraurig antwortete die edle Jungfrau: "Wem könnt’ ich hold sein? Bin ich doch selber von aller Huld geschieden. Des gedenk’ ich immerdar."
"Lass ab von deinem Leid; wähle Hartmut, den stolzen Recken; alles, was wir haben, biet’ ich dir."
"Eh’ ich Hartmut nehme, lieber lieg’ ich tot; und nicht geziemt’s deinem Sohn, um Hettels Tochter zu werben."
Hartmut hatte Boten vorausgeschickt zu Gerlind, mit der frohen Kunde; sie solle sich zum Empfang rüsten. Lieberes hatte Gerlind nie
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