Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
Wilkinus aus Wilkinaland entstanden, Wilkinaland aber aus Wikingoland.] hiess ein König; durch Tapferkeit und Siegesglück gewann er Macht und Herrschaft über Wilkinenland (d. i. Skandinavien). Niemals ruhte sein Schwert lange. So rüstete er wieder einmal ein Heer und fuhr ins Ostreich, wo König Hertnit über Russenland und viele andre Reiche und bis ostwärts ans Meer hin herrschte; schier das ganze Ostreich war ihm und seinem Bruder Hirdir unterworfen.
Hertnit zog Wilkinus entgegen; sie bekämpften einander in vielen Schlachten, und Wilkinus blieb stets Sieger. Er nahm eine Burg nach der andern und zog auf Holmgard, Hertnits Königsburg. Gewaltiger Kampf wurde da gestritten, ehe Hirdir tot lag mit seinen Scharen, und Hertnit in die Flucht stob. Wilkinus nahm Holmgard und erbeutete so viel des Goldes und der Schätze wie nie zuvor.
Bald darauf verglich er sich mit Hertnit; der empfing sein Reich zurück, musste aber Wilkinus Schatzung zahlen von allen Landen, über die er herrschte, solange sie beide lebten.
Wilkinus gedachte nun heimzukehren; und als er über die Ostsee segelte, geschah’s, dass seine Drachen wegen ungünstigen Fahrwindes vor Anker gehen mussten. Der König stieg ans Land und schritt allein in einen nahen Wald. Dort fand er eine wunderschöne Frau. Er schlang seine Hände um ihren Hals, küsste sie und vermählte sich ihr. Das war aber Wachhild, eine Haffrau. Des Königs Mannen vermissten ihren Herrn und suchten ihn; da kam er ihnen aus dem Wald entgegen. Der Wind war günstig; sie lichteten die Anker und segelten hinaus.
Als sie weit ins Meer gekommen, tauchte neben des Königs Schiff ein Weib empor, griff ins Steuerruder und hielt es fest; das Schiff stand. Der König sah das Meerweib und erkannte es als die Frau, die er im Wald gefunden hatte. "Lass mich meines Weges fahren," sprach er, "und willst du etwas von mir, so komm in meine Königsburg; dort werd’ ich dich willkommen heissen." Und nun liess das Weib das Steuer fahren und versank. Der König aber fuhr heim.
Nach einem Halbjahr kam eine Frau in des Königs Hof und sagte, dass die Mutter seines Kindes sei. Wilkinus erkannte die Seefrau und liess die in eines seiner Häuser führen. Bald darauf gebar sie einen Knaben, den nannte der König Wadi [Fußnote: Wadi, ursprünglich ein mythisches, dem Meer angehöriges Wesen; – in Sagen verflochten, als Wadi hier, als Wate in Kudrun.] . Nun wollte die Meerminne nicht länger in der Halle bleiben und verschwand, und niemand weiss, wohin sie gekommen ist. Wadi wuchs auf und wurde gross wie ein Riese; er war verhaltenen, unheimlichen Wesens und allen verhasst. Auch sein Vater liebte ihn nicht viel, gab ihm aber zwölf Höfe in Seeland zu eigen.
Wilkinus hatte noch einen Sohn, der hiess Nordian; er war gross, schön und stark, aber hart, grimm und geizig und seines Vaters stolzer Ruhm folgte ihm nicht. Als Wilkinus siech von Alter geworden, gab er Reich und Krone Nordian und mahnte ihn, des Rates seiner treuen Freunde wohl zu achten. Dann starb er, und Nordian nahm die Gewalt über Wilkinenland.
2. Nordian und Hertnit.
"Wohl mir," sprach König Hertnit zu seinen Mannen, "dass ich auf meinem Hochsitz den Tag erlebe, der mir die Kunde von Wilkinus’ Tod bringt. Nun zahl’ ich keine Schatzung mehr und lebte ich noch drei Menschenalter. Das Joch ist von unserm Nacken genommen, das der starke König uns aufgelegt hatte. Höret, all meine Getreuen; Jedermann in meinem Reiche, der Ross reiten, Schild tragen, Schwert schwingen kann und zu streiten wagt, der rüste sich und komme zu mir; wir wollen unsre Schmach rächen an den Wilkinen. Unsre Eide haben wir gehalten; aber der Friede zwischen Wilkinen und Russen ist zerrissen mit Wilkinus’ Tod."
Bald hatte Hertnit seine Schar gerüstet und ritt von Holmgard aus nordwärts nach Wilkinenland; unterwegs stiess ein unbezwingbares Heer zu ihm; mit diesem zog er verwüstend durch Nordians Marken; – Männer wurden erschlagen, Frauen davongeführt, die Siedelungen verbrannt, Habe und Gold geraubt – und er fuhr, bis er König Nordian mit seinem Heere traf. Eine blutige Schlacht wurde geschlagen. Nordian hatte nur geringe Scharen; viele seiner Edelinge und mächtigsten Grafen waren ihm nicht gefolgt, weil er übermässig karg war. Er wurde geschlagen und musste fliehen. Drei Tage verfolgte ihn Hertnit. Da erkannte Nordian, dass ihm sein gespartes Gold daheim wenig nützte; er musste aus seinem Reich flüchten oder sieglos fallen. Er entschloss
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