Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
sich aber, Frieden zu suchen und ging zu Hertnit, fiel ihm zu Füssen und ergab sich mit allen seinen Mannen, die noch übrig geblieben waren, des Königs Gnade.
Hertnit antwortete: "Dein mächtiger Vater gewährte mir Frieden, als ich in seine Gewalt kam; das will ich nun an dir vergelten; Frieden sollst du haben. Dein Reich beuge sich mir zu Gehorsam und Schatzung, du aber sollst eiden, Treu’ und Frieden zu halten."
Nordian leistete den Schwur; König Hertnit unterwarf sich ganz Wilkinenland und setzte Nordian über Seeland. Und hatte Nordian nun nichts mehr von seinem ganzen grossen Reiche und all seinem gesparten Geld.
Als König Hertnit alt und lebensmüde ward, rief er seine Söhne zu sich; Oserich, dem ältesten, gab er das Königreich der Wilkinen, und Nordian blieb dort Unterkönig. Waldemar, den zweiten, machte er zum König über Russenland und die ganze Osthälfte seines Reiches. Ilias, seinen dritten Sohn, von einer andern Frau, ernannte er zum Grafen über Grekaland [Fußnote: Graecus bei Adam von Bremen Gesamtname für Slaven; also ein Slavenland; an Griechenland ist dabei ursprünglich nicht gedacht, s. Müllenhoff, Haupts Zeitschrift 10, 166.] . Das war ein gewaltiger Kämpe und grosser Kriegsmann. Kurz darauf starb Hertnit.
3. König Oserich.
Nordian auf Seeland hatte vier Söhne: Edgeir, Abentrod, Widolf mit der Stange und Aspilian. Sie waren Riesen an Kraft, Wuchs und Wesensart. Oserich setzte Aspilian nach Nordians Tode zum König in dessen Reich ein. Widolf war allein so stark wie zwei seiner Brüder, deren Haupt nur bis an seine Achsel reichte. Dazu war er so böse, sobald er in Zorn geriet, dass er nichts verschonte. Darum ging er auf Oserichs Befehl in Eisenketten; Edgeir und Abentrod mussten die Ketten tragen; nur wenn er zum Streit ging, sollten sie ihn frei lassen. Dann führte er eine lange Eisenstange; daher hiess er Widolf mit der Stange. Edgeir trug eine eiserne Barte als Waffe, die konnten zwölf Männer nicht aufheben. Und diese drei Riesen waren König Oserich untertan und gingen in seinem Gefolge.
In reichem Lande herrschte damals der hochmütige Milias, seine Tochter Oda war die schönste aller Frauen. Könige, Heerführer und Grafen hatten um sie geworben; Milias aber liebte Oda so sehr, dass er sie keinem Manne geben wollte. Da hörte Oserich von dem Königskind und sandte sechs seiner Gefolgen wohl ausgerüstet zu König Milias mit einem Brief: "Oserich, König der Wilkinen, sendet Gruss Milias, König der Hunen, dem mächtigen, langbärtigen. Ich hörte deiner Tochter Schönheit rühmen und werbe um sie, mir zur Ehefrau. Sende mir Oda und reiches Gut und Gefolge, wie deiner Tochter und meiner Ehefrau geziemend ist. Dagegen gelobe ich dir meine Freundschaft. Weisest du aber meine Werbung ab, oder tust du Unehre meiner Botschaft an, so werden unsre Heere die Sache ausfechten." Als Milias den Brief aus der Sendboten Hand empfing und vorlesen hörte, antwortete er: "Mächtigere Könige als der eure haben um die Hand meiner Tochter geworben mit Höflichkeit und Anstand; und dennoch hab’ ich ihnen die Schwägerschaft versagt. Der Wilkinenkönig ist übermütig! Durch Kriegsdrohung will er meine Schwägerschaft erzwingen; das mag er erproben."
Die sechs Edelinge liess er in den Kerker werfen, dort sollten sie ihren Herrn erwarten. Bald erfuhr davon Oserich; er berief seine Treuen und befragte sie um ihren Rat. Ein weiser Mann riet, noch einmal zu werben mit höflichen Worten und reichen Gaben und die edelsten Männer mit dieser Botschaft zu betrauen: "Will König Milias auf deine Bitten nicht hören, weist er deine Geschenke zurück, dann erst drohe – und trotziger als zuvor – mit Krieg und Feindschaft."
Nun waren in jener Zeit Ilias’ Söhne Hertnit und Hirdir an Oserichs Hof gekommen. Hirdir zählte zehn, Hertnit zwölf Winter, und er war der Kühnste und Schönste unter allen Edelingen. Der König machte ihn zum Grafen, setzte ihn zum Führer seines Gefolges und gab ihm Lehen in Wilkinenland. Ihn erlas Oserich zum Boten ins Hunenreich und befahl ihm, zuerst mit Schmeichelworten und reichen Geschenken um Oda zu werben. Helfe das nicht, dann solle er des Königs Fehdebrief überreichen. Hertnit war dazu gern bereit. Seine Fahrt ward aufs prächtigste ausgerüstet; elf der vornehmsten Degen begleiteten ihn, beladen mit Gold und Kleinodien. Bald stand er vor König Milias und brachte in langer, höflicher Rede die Werbung vor; der König nahm sie verdriesslich auf. Und
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