Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
die Frauen um Frieden bei ihrer Königin.
"Liebe Tochter, lass ab," antwortete Hilde. "Durch Hartmut geschah mir viel Leid und grosse Schmach; in meinem Kerker büsst er seinen Frevel."
Mit sechzig edlen Mägden fiel ihr Kudrun zu Füssen und alle weinten, bis Frau Hilde nachgab: "Hört auf zu weinen! Ich lasse Hartmut und seine Genossen ungebunden zu Hofe kommen, wenn sie eiden, dass sie nicht entfliehen wollen."
Heimlich liess Kudrun den Befreiten Bäder bereiten und gute Kleider reichen, ehe sie in die Königshalle gingen. Herrlich anzuschauen in allen seinen Sorgen stand Hartmut vor den Frauen; sie sahen ihn gern; nicht lange, so vergassen sie ihres Hasses und wurden ihm hold.
Herwig drängte zur Heimkehr in sein Reich; aber Frau Hilde mochte das kaum wiedergewonnene Kind nicht sogleich wieder hergeben: "Nein, Herr Herwig, das geht nicht an," sprach sie. "Ihr tatet mir schon so viel zulieb’, tut auch dies und eilt nicht so. Erst soll feierliche Hochzeit sein, solang noch alle Gäste hier beisammen sind."
"Frau, die uns daheim blieben, sehnen sich sehr, die Ihrigen wiederzusehen."
"Gönnt mir die Ehre und Freude, edler Herwig, dass meine Tochter hier gekrönt werde."
Er gab ihr ungern nach; doch bat sie so lang, bis er’s tun musste. Davon kam Frau Hilde in grosse Freude; früh und spät hatte sie zu schaffen und anzuordnen. Hundert Frauen erhielten reiche Gewande, auch den Normannenfrauen reichte sie Festkleider; sie teilte allen Gaben aus. Uhr da ward Kudrun als Herwigs Königin gekrönt. Als sie beim Mahl in einer offenen Seitenkemenate des grossen Saales inmitten ihrer Frauen sass, liess sie Ortwein zu sich rufen. Sie fasste seine Hand und führte ihn zur Seite: "Lieber Bruder," sprach sie, "hör’ und befolge meinen Rat; willst du Freuden und Wonnen geniessen, so sieh zu, Ortruns Liebe zu gewinnen."
"Wie, Schwester? Hartmut und mich bindet keine Freundschaft, wir Hegelinge erschlugen ja Ludwig. Gedächte Ortrun dessen an meiner Seite, mir deucht, dann müsste sie oft schmerzlich seufzen."
"Verdien’s um sie, dass sie das nicht tue. Aus Treue rat’ ich dir’s; du wirst mit ihr keinen bösen Tag verleben."
"Sie ist schön, und ich möchte sie gern gewinnen," antwortete Ortwein und sagte das seinen Gesippen. Die Mutter widersprach, bis Herwig dazu kam; dem gab sie nach, da er zuriet. Frute sprach: "Nimm sie; sie bringt dir viele und gute Recken. Und den gegenseitigen Hass wollen wir so versöhnen, dass wir Hartmut der edlen Hildburg vermählen."
"Dann kann sie sich als Hartmuts Frau einer jeden vergleichen," fügte Herwig bei, "an tausend reiche Burgen hat er in seinem Land." Kudrun sprach insgeheim zu Hildburg: "Du Vieltreue, willst du, dass ich dir deine Treue lohne, so wirst du Krone tragen in Normandie."
"Das kommt mich schwer an," sprach Hildburg. "Soll ich einen kiesen, der noch niemals Herz und Mut mir zuwandte? Wir würden wohl oft miteinander in Zorn gefunden."
"Das wirst du nicht! Ich will Hartmut fragen, was ihm besser gefalle; hier gefangen zu sein oder heimzukehren als König mit dir als seiner Königin?"
Alsbald führte Frute Hartmut zu Kudrun, wo sie in der Kemenate sass. Wie er durch die Mägdlein schritt, stand eine jede auf, keiner dünkte das zu gering. "Setze dich, Hartmut, zu meiner lieben Freundin, die mit mir für dich und deine Helden wusch," begann Kudrun. "Wir wollen dir ein Gemahl geben, deine Ehre und dein Land dir wiederschenken; unsre Feindschaft soll vergessen sein."
"Wen wollt ihr mir geben? Ehe ich mich einem Weib vermähle, das mir und den Normannen daheim eine Schmach wäre, lieber will ich hier sterben."
"Ortrun soll meines Bruders Frau werden, so nimm du die edle Königstochter Hildburg. Besseres Gemahl kannst du nicht gewinnen."
"Erwählt Ortwein, wie du sagtest, Ortrun zum Weib, – dann nehm’ ich Hildburg und der Hass sei vergessen."
"Er hat’s gelobt; dein ganzes Reich lässt er dir."
Da kam der alte Wate und sprach: "Wer könnte sühnen, ehe Ortrun und Hartmut Frau Hilde zu Füssen fallen und um Gnade bitten? Willigt sie ein, so mag alles ein gutes Ende haben."
"Sie zürnt nicht mehr, glaube mir, Wate," sprach Kudrun. "Sie willigt gern ein; vertrau’ auf mich."
Da wurden Ortrun und Hildburg Herrn Ortwein und Herrn Hartmut vermählt.
"Nun will ich," sprach Frau Hilde, "dass Friede bleibe."
Viertes Buch.
Aus verschiedenen Sagenkreisen.
I. Von den Wilkinen und ihrem Reiche.
1. König Wilkinus.
Wilkinus [Fußnote: Nach Müllenhoff ist
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