Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
geführt.
"Ich will dich," sprach er, "zu meinem Herrn führen und mir Frieden und Freundschaft durch dich erkaufen." "Herr," antwortete Oda, "nun ist es dahin gekommen, dass du über mich schalten kannst, wie dir’s beliebt."
Oserich nahm einen zierlichen Schuh, aus Silber geschlagen, kniete nieder vor dem Königskind, setzte ihren Fuss auf sein Knie und zog ihr den Schuh an; er passte, als wär’ er für sie gemacht. Nun zog er ihn wieder ab und passte einen goldnen Schuh an denselben Fuss, und der sass noch besser. "Ihr guten Götter," seufzte Oda, "könnt’ ich den Tag erleben, dass ich so meinen Fuss auf König Oserich Hochsitz ruhen dürfte!" Da lachte der König: "Der Tag ist heut! Dein Fuss steht in König Oserichs Schoss." Nun erkannte Oda, das der König selber vor ihr kniete; froh und freundlich begrüsste sie ihn. Er nahm das Königskind und zog heim mit seinem Heer. Dann sandte er Boten aus, König Milias zu versöhnen; ihm blieb sein Reich und Oda ward des Oserich Ehefrau; und ihre Ehe ward überglücklich.
4. Etzel (Attila) und Helche (Erka).
Als König Milias alt wurde, brach der kriegerische Fürst der Heunen, Etzel, unablässig in sein Land; darüber starb König Milias; nach blutigen Kämpfen unterwarf nun Etzel sich auch dieses Reich. Seinen Sitz schlug er in Susa auf. Von dort entsandte er den Markgrafen Rüdiger von Bechelaren ins Wilkinenland, für ihn um Helche zu werben. Sie war die Tochter von Oserich und Oda, wegen ihrer Schönheit und edlen Sitten hochgepriesen; nicht Geringeres rühmte man von Bertha, ihrer jüngern Schwester. König Oserich nahm den Markgrafen wohl auf, nicht so seine Botschaft. "Allzu kühn, dünkt mich, ist Etzel," antwortete er: "um meine Tochter wagt er zu werben, nachdem er mit Heerfahrt das Land in Besitz nahm, das mir zukommt. Und das allein noch brachte ihm Ruhm; denn geringem Geschlecht entstammt er. Zieh’ heim, Etzel hat keine Hoffnung, dass ich ihm Helche gebe."
"Herr," warnte der Markgraf, "Etzel ist ein gewaltiger Kriegsmann; gibst du ihm deine Tochter nicht, so wird er dein Land verheeren."
Laut lachte Oserich: "Du bist ein guter Mann, Rüdiger! Dein König Etzel komme so schnell als möglich mit seinem Heer! Wir Wilkinen haben scharfe Schwerter, harte Brünnen und gute Rosse, auch sind wir nicht träge, uns zu schlagen." – Mit dieser Antwort musste der Markgraf zurückreiten nach Susa. König Etzel sammelte seine Kriegsmannen und griff die Wilkinen an. Oserich war ihm entgegengezogen mit grosser Übermacht, und nach kleinen Scharmützeln, in welchen die Wilkinen durch des Markgrafen kühne Tapferkeit fünfhundert Ritter verloren, kehrten beide Könige wieder in ihre Burgen zurück. Da trat einmal Rüdiger vor König Etzel und sprach: "Herr, gib mir dreihundert Ritter zu einer Fahrt und des Geldes, soviel ich dazu bedarf. Frage nicht, wohin und warum ich reiten will; kehr’ ich aber nach drei Wintern nicht zurück, dann bin ich tot." Rüdiger war ein so getreuer Mann, dass der König seine Bitte gewährte, ohne weiter zu forschen. Und der Markgraf ritt mit seinem Geleit aus Susa und wandte sich auf die Strasse nach Wilkinenland. Bald kamen sie an einen unbebauten Wald. "Keines Menschen Fährte ist hier in der Nähe" – sprach Rüdiger zu seinen Gefährten – "hier bleibt, bis ich zurückkomme. Nehmt dieses Gold und sendet Leute in die nächsten Siedelungen, euch alles zu kaufen, dessen ihr zum Leben bedürft. Kehr’ ich nach drei Wintern nicht wieder, dann reitet heim zu König Etzel und sagt ihm, dass ich tot bin." –
Er ritt allein weiter ins Wilkinenland, bis er an die Königsburg kam. Durch Verkleidung hatte er sein Aussehen völlig verändert; als ein alter, blöder Mann, mit langem Bart und breitem Hut trat er vor Oserich, umfasste seine Füsse und bat um Schutz. "Siegfried heiss’ ich und war ein Mann des Königs Milias; als aber Etzel sein Reich brach, wollten weder ich noch meine vier Brüder ihm dienen. Drei meiner Brüder erschlug er und mich machte er friedlos. Kleine Rache war’s, dass ich hundert seiner Krieger vor seinen Augen erschlug; – nun gib du mir Frieden und nimm meinen Dienst." So gelang es ihm, Oserich zu täuschen, der hiess ihn willkommen und behielt ihn an seinem Hof. Da geschah es, dass ein König Nordung kam und um Helche warb. Oserich wollte den Antrag annehmen, wenn es seiner Tochter Wille wäre. Er rief den Markgrafen und sagte: "Nun bist du zwei Winter hier; ich habe dich als einen weisen, treuen Mann
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