Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
Linken noch manchen Hirsch niederstrecken, derweil dir Eberfleisch schwerlich munden wird; und queren Auges seh’ ich dich blicken; doch ich schaffe dir Rat: lass dir Kinderbrei kochen – der behagt zahnlosem Munde."
So wurde unter Scherz und Neckreden der alte Treubund erneut.
Dann huben sie den schwerwunden König aufs Ross und ritten auseinander: die Franken nach Worms, Walther nach Haus. Und bald nach seines Vaters Tod führte er sein Volk noch dreissig Jahre und gewann in gar manchem schweren Kampf ehrenvollen Sieg. Und schön Hildgund thronte an seiner Seite.
Fünftes Buch.
Aus den Sagenkreisen von Dietrich von Bern und von den Nibelungen.
I. Dietrichs Jugend.
1. Dietrich von Bern.
In Bern herrschte König Dietmar aus der Amalungen Geschlecht, welches bis zu den Göttern emporstieg; seine Gattin Odilia war die geschickteste aller Frauen. Sie hatten einen Sohn, Dietrich geheissen, der wuchs heran zu ungewöhnlicher Körperkraft. Sein Angesicht war oval und hellfarbig, seine scharfen Augen waren von der Farbe des Adlerauges, in langen Locken fiel sein starkes Haar herab, glänzend wie geschlagenes Gold. Er hatte keinen Bart, so alt er auch wurde. Schmal war er in der Mitte des Leibes, aber gar breit in den Schultern, dick in den Hüften und von so grosser Stärke, dass er sie kaum je selber ganz erproben konnte. Dabei war er munter, leutselig und freigiebig; geriet er aber in Zorn, dann fuhr Feuer aus seinem Munde.
Damals lebte in Venedi Herzog Reginbald [Fußnote: Nach andern Überlieferungen aber Heribrand.] aus dem Geschlecht der Wölfinge. Hildebrand hiess sein ältester Sohn; der war ein schöner, hochgewachsener Mann mit wunderguten Augen, blond waren ihm Haar und Bart und kraus wie Hobelspäne. Voll Tapferkeit, war er zugleich ein trefflicher Ratgeber und fest in der Freundschaft. Als er in den dreissigsten Winter ging, sprach er zu seinem Vater: "Wie soll ich Ruhm erlangen, wenn ich stets zu Hause sitze? Ich will zu König Dietmar fahren und ihm meinen Dienst anbieten." Der König von Bern nahm Hildebrand freundlich auf; er setzte ihn an seine Seite in der Halle und gab ihm den erst fünfjährigen Dietrich zur Erziehung. Hildebrand pflegte und lehrte den Knaben, bis er zwölf Winter alt wurde. Da empfing jung Dietrich [Fußnote: König Dietmar hatte noch zwei Brüder: Harlung (nach W. Grimm der richtigere Name, er heisst auch Diether) auf der Fritilaburg, der Vater der Harlunge: Fritila und Imbreke (siehe unten). Der andre Bruder König Dietmars hiess Ermenrich, König in Romaburg, einer Sage nach der allein echte Sohn seines Vaters. Dieser Vater heisst in einem Gedicht Amalung.] aus seines Vaters Hand das Schwert und erhielt ein grosses Gefolge. Hildebrand und Dietrich liebten einander sehr, bis an ihren Tod.
2. Von Grim und Hilde.
Einst ritten die Freunde hinaus in den Wald mit Habichten und Hunden. Dietrich verfolgte einen Hirsch und sah einen Zwerg laufen; rasch wandte er sein Ross und setzte ihm nach, und ehe der Zwerg in seine Höhle gelangte, griff Dietrich ihn mit der Hand am Nacken und riss ihn zu sich in den Sattel. Das war Alfrich, der berüchtigte Dieb und geschickteste aller Zwerge. "Herr," sprach Alfrich, "wenn ich mein Leben damit aus deiner Hand lösen kann, so will ich dich dorthin führen, wo du noch einmal so viel Schätze finden wirst, als dein Vater fahrende Habe hat. Und das alles besitzen Hilde und ihr Mann Grim; der ist stark wie zwölf Männer, aber sie ist noch stärker und beide sind sie bös. Auch hat er das Schwert Nagelring, das ich geschmiedet habe. Aber du kannst ihn nicht erschlagen, wenn du nicht zuvor Nagelring gewinnst. Und es steht dir besser an, danach zu streben als nach meinem geringen Leben." Dietrich antwortete: "Dein Leben musst du lassen, schwörst du nicht, dass du Nagelring noch heut’ in meine Hand schaffst und mich dann dorthin führst, wo die Schätze sind." So tat der Zwerg und Dietrich liess ihn los. Die Sonne stand noch hoch am Himmel, als der Zwerg mit dem Schwerte zurückkam; er wies den beiden einen Felsen an der Berghalde, wo sie Grims Erdhaus finden würden, und verschwand aufs schnellste. Dietrich und Hildebrand stiegen von den Rossen, zogen das Schwert aus der Scheide und sahen staunend, dass sie niemals ein schöneres geschaut hatten. Dann gingen sie an die Halde hin bis zum Erdhause, banden die Helme fest und schwangen die Schilde vor sich. Kühn schritt Dietrich über die Schwelle; Hildebrand dicht hinter ihm. Als der Berserker Grim
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